Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier
Autoren: Patricia Cornwell
Vom Netzwerk:
sagte Marino und meinte es.
    »Was soll ich nur tun?« Sie weinte. »Ich lebe allein. Ich habe Angst.«
    »Gemeinsam geplanter Raub und Handel mit verschrei-bungspflichtigen Medikamenten«, dachte Marino laut. »Plus Besitz dieser Medikamente ohne Rezept. Alles Straftaten. Mal sehen. Da sowohl Sie als auch Chuckie-Boy eine Arbeit haben und bislang im Sinne des Strafgesetzbuches nicht auffällig geworden sind, wird die Kaution nicht sehr hoch angesetzt werden. Wahrscheinlich zweitausendfünfhundert Dollar, die Sie vermutlich mit Ihrem Anteil am Drogengeschäft bezahlen können. Kein Problem also.«
    Ich kramte in meiner Tasche, holte mein Handy heraus und rief Fielding an.
    »Ihre Leiche ist gerade eingeliefert worden«, sagte er. »Soll ich mit der Autopsie anfangen?«
    »Nein«, sagte ich. »Wissen Sie, wo Chuck ist?«
    »Er ist heute nicht gekommen.«
    »Das hätte ich mir denken können«, sagte ich. »Wenn er doch noch auftaucht, rufen Sie ihn in Ihr Büro und lassen ihn nicht wieder weg.«

41
    Kurz vor vierzehn Uhr fuhr ich vor das Leichenschauhaus und stellte meinen Wagen im Trockenen ab. Zwei Angestellte eines Bestattungsunternehmens luden eine Leiche in einen altmodischen schwarzen Leichenwagen mit Jalousien in den hinteren Fenstern.
    »Guten Tag«, sagte ich.
    »Guten Tag, Ma'am.«
    »Wen haben Sie denn abgeholt?«
    »Den Bauarbeiter aus Petersburg.«
    Sie schlossen die Hecktür und zogen die Latexhandschuhe aus.
    »Der vom Zug überfahren wurde«, fuhren sie fort. Sie sprachen beide gleichzeitig. »Das ist mir unvorstellbar. So möchte ich nicht abtreten. Einen schönen Tag noch.«
    Ich öffnete mit meinem Kartenschlüssel den Seiteneingang und ging den hell beleuchteten Flur entlang, wo der Boden mit einem Epoxidharz eingelassen war und alle Aktivitäten von Kameras an den Wänden aufgenommen wurden. Rose drückte gereizt auf den Cola-Lite-Knopf unseres Getränkeautomaten, als ich den Aufenthaltsraum auf der Suche nach Kaffee betrat.
    »Verdammt«, rief sie. »Ich dachte, der wäre repariert worden.«
    Sie drückte vergeblich auf den Geldrückgabe-Knopf.
    »Das verdammte Ding funktioniert immer noch nicht. Kann denn niemand mehr irgendetwas richtig machen?«, beschwerte sie sich. »Tu dies, tu das, und trotzdem geht nichts, wie bei den Beamten.«
    Sie atmete laut und frustriert aus.
    »Alles wird in Ordnung kommen«, sagte ich ohne Überzeugung. »Ist schon okay, Rose.« »Ich wünschte, Sie könnten sich etwas ausruhen.« Sie seufz-te.
    »Ich wünschte, das könnten wir alle.«
    Becher hingen an einem Brett neben der Kaffeemaschine, aber meinen suchte ich vergeblich.
    »Versuchen Sie's auf der Toilette, dort lassen Sie ihn für gewöhnlich auf dem Waschbecken stehen«, sagte Rose. Diese Erinnerung an die weltlichen Kleinigkeiten unseres normalen Lebens war eine willkommene Erleichterung, gleichgültig wie flüchtig sie war.
    »Chuck wird nicht mehr kommen«, sagte ich. »Er wird verhaftet werden, wenn er es nicht schon ist.«
    »Die Polizei war schon da. Ich werde ihm keine Tränen nachweinen.«
    »Ich bin im Leichenschauhaus. Sie wissen, woran ich arbeite, also keine Anrufe, außer es ist dringend«, sagte ich zu ihr.
    »Lucy hat angerufen. Sie holt Jo heute Abend aus dem Krankenhaus.«
    »Ich wünschte, Sie würden für eine Weile bei mir wohnen, Rose.«
    »Danke. Aber ich bleibe, wo ich bin.« »Ich würde mich besser fühlen, wenn Sie bei mir wären.« »Dr. Scarpetta, wenn er es nicht ist, dann ist es jemand anders.
    Draußen laufen immer böse Menschen herum. Ich muss mein Leben leben. Ich will nicht zu einer Geisel der Angst und des Alters werden.«
    Im Umkleideraum zog ich einen OP-Anzug und eine Plastikschürze an. Meine Finger stellten sich ungeschickt an, und immer wieder fiel mir etwas aus der Hand. Mir war kalt, und alles tat mir weh, als würde ich eine Grippe kriegen. Ich war dankbar, dass ich einen Mundschutz, ein Gesichtsschild, Mütze, Überschuhe und schichtenweise Handschuhe anziehen konnte, um mich vor biologischen Risiken und meinen Gefüh-len zu schützen. Ich wollte nicht, dass mich jetzt jemand sah. Schlimm genug, dass Rose mich gesehen hatte.
    Fielding bereitete sich darauf vor, Brays Leiche zu fotografieren, als ich den Autopsiesaal betrat, wo meine zwei Stellvertreter und drei Assistenzärzte neue Fälle bearbeiteten, weil jeder Tag uns Tote brachte. Laufendes Wasser und Stahlinstrumente, die gegen Stahlflächen schlugen, und gedämpfte Stimmen waren zu hören. Das Telefon
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher