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Blinder Passagier

Blinder Passagier

Titel: Blinder Passagier
Autoren: Patricia Cornwell
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klingelte ununterbrochen.
    An diesem Ort aus Stahl gab es keine Farben außer den Schattierungen des Todes. Quetschungen und Blutergüsse waren lilablau, Livor mortis war pink. Blut leuchtete hell neben dem Gelb von Fett. Brustkörbe waren geöffnet wie Tulpenblüten, Organe lagen auf Waagschalen und Schneidbrettern, und der Geruch nach Verwesung war stark.
    Die beiden anderen Fälle waren Jugendliche, einer hispanischer Abstammung, der andere weiß. Beide waren tätowiert und an multiplen Messerstichen gestorben. Ihre hassverzerrten, zornigen Gesichter waren jetzt entspannt wie die von den Jungen, die sie hätten sein können, hätte das Leben sie vor einer anderen Tür abgesetzt, vielleicht mit anderen Genen. Eine Gang war ihre Familie gewesen, die Straße ihr Zuhause. Sie waren gestorben, wie sie gelebt hatten.
    »- tief eingedrungen. Zehn Zentimeter tief zwischen zwölfter Rippe und Aorta, über ein Liter Blut in der linken und rechten Brustkorbhälfte«, diktierte Dan Chong ins Mikrofon an seinem Kittel, während Amy Forbes ihm gegenüber auf der anderen Seite des Tisches arbeitete.
    »Hat er Blut eingeatmet?«
    »Nur minimal.«
    »Eine Abschürfung am linken Arm. Vielleicht von seinem letzten Sturz? Habe ich dir erzählt, dass ich tauchen lerne?« »Hm. Na dann viel Glück. Warte nur, bis du in offenem Wasser tauchen musst, im Steinbruch. Das macht wirklich Spass. Vor allem im Winter.«
    »Um Gottes willen«, sagte Fielding. »Um Gottes willen.«
    Er hatte den Leichensack geöffnet und die blutigen Tücher beiseite geschlagen. Ich trat zu ihm, und als wir sie bloßlegten, verspürte ich noch einmal den Schock.
    »Um Gottes willen«, murmelte Fielding immer wieder.
    Wir hoben sie auf den Tisch, und sie nahm stur wieder die Position ein, die sie auch auf der Bahre innegehabt hatte. Wir brachen die Leichenstarre in ihren Armen und Beinen, damit sich die Muskeln darin entspannten.
    »Was zum Teufel stimmt nur mit den Menschen nicht?« Fielding legte einen Film in eine Kamera.
    »Das, was schon immer nicht mit ihnen gestimmt hat«, sagte ich.
    Wir befestigten den fahrbaren Autopsietisch an einem der Sezierbecken an der Wand. Einen Augenblick lang legten alle im Raum die Arbeit nieder und kamen zu uns, um sich Bray anzusehen. Sie konnten nicht anders.
    »Oh mein Gott«, murmelte Chong.
    Forbes war so geschockt, dass sie kein Wort herausbrachte.
    »Bitte«, sagte ich und sah ihnen in die Gesichter. »Das ist keine Demo-Autopsie. Fielding und ich machen das schon.«
    Ich suchte die Leiche mit einer Lupe ab und fand mehr von den langen, feinen teuflischen Haaren.
    »Es ist ihm gleichgültig«, sagte ich. »Es ist ihm gleichgültig, ob wir alles über ihn erfahren.«
    »Meinen Sie, er weiß, dass Sie in Paris waren?«
    »Ich weiß nicht, wie er davon erfahren haben könnte«, sagte ich.
    »Aber vermutlich steht er in Kontakt mit seiner Familie. Und die weiß womöglich alles.« Ich sah ihr großes Haus vor mir, die Kronleuchter darin und mich selbst, wie ich mich vorbeugte, um Wasser aus der Seine zu schöpfen, möglicherweise an der Stelle, wo der Mörder ins Wasser gewatet war, um sein Leiden zu heilen. Ich dachte an Dr. Stvan und hoffte, dass sie in Sicherheit war.
    »Das Gehirn ist dunkel verfärbt.« Chong hatte sich wieder seiner eigenen Arbeit zugewandt.
    »Ja, das des anderen auch. Wahrscheinlich wieder mal Heroin.
    Der vierte Fall in sechs Wochen. Alle in der Stadt.«
    »Es muss guter Stoff im Umlauf sein. Dr. Scarpetta?«, rief Chong mir zu, als wäre es ein ganz normaler Nachmittag und mein Fall ein ganz normaler Fall. »Die gleiche Tätowierung, wie ein schlecht gezeichnetes Viereck. Auf der linken Handfläche, muss höllisch wehgetan haben. Dieselbe Gang?«
    »Fotografieren Sie sie«, sagte ich.
    Bray wies vor allem an Stirn und linker Wange unverwechselbare Verletzungsmuster auf, wo die Wucht der Schläge die Haut aufgerissen und geriefelte Abschürfungen hinterlassen hatte, wie ich sie schon einmal gesehen hatte.
    »Vielleicht das Gewinde eines Rohrs?«, sagte Fielding.
    »Sieht nicht nach einem Rohr aus«, erwiderte ich.
    Die äußerliche Untersuchung von Brays Leiche dauerte über zwei Stunden, und Fielding und ich vermaßen, skizzierten und fotografierten jede einzelne Wunde. Die Knochen in ihrem Gesicht waren eingeschlagen, das Fleisch über hervorstehenden Knochen aufgerissen. Ihre Zähne waren zerbrochen. Manche mit solcher Wucht ausgeschlagen, dass sie in ihrer Kehle steckten. Ihre Lippen, ihre
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