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Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Blinde Flecken: Schwarz ermittelt

Titel: Blinde Flecken: Schwarz ermittelt
Autoren: Peter Probst
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erzählen. »Ich habe sie jemandem vorgespielt, einer Frau. Einer alten Frau.«
    Sie berührte seine Hand. »Ihrer Mutter?«
    Schwarz wurde heiß. »Was wissen Sie von meiner Mutter?«
    Sie lächelte. »Nur das, was mein Onkel Karl von seiner Kusine weiß. Die hat vor vielen Jahren vergeblich versucht, ihre Mutter in unsere Gemeinde zurückzuholen.«
    Schwarz hatte das Gefühl, dass der Boden unter seinen Füßen schwankte. »Sie wussten, dass meine Mutter Jüdin ist?«
    Eva nickte. »Ist das so schlimm?«
    Schwarz schüttelte den Kopf und rang um Fassung.
    »Es ist übrigens eine ziemlich komische Idee, einer Jüdin aus Karlsbad Klesmer vorzuspielen.«
    »Wieso? Die Texte sind doch jiddisch?«
    »Soviel ich weiß, haben die Karlsbader Juden kein Jiddisch gesprochen.«
    »Was denn dann?«
    »Deutsch.«
    Jetzt musste auch Schwarz lachen. Er dachte daran, wie er seine Mutter mit ihr völlig unverständlichen Texten gequält und sie dabei aufgefordert hatte, sich an ihre Kindheit zu erinnern. Wahrscheinlich hatte sie geweint, weil er so ahnungslos war.
    Aber war das seine Schuld?
     
    Schwarz verließ die Villa mit einer Ordnerbinde in der Hand und einem T-Shirt mit dem Slogan der Demonstration:
München sagt Nein!
    Luisa hatte ihn als ehemaligen Polizisten mit einer Spezialaufgabe bedacht. Er war nicht für Absperrungen oder die Regulierung des Stroms der Demonstranten zuständig, er sollte darauf achten, ob sich Gegendemonstranten und potentielle Krawallmacher unter die friedlichen Teilnehmer mischten, und gegebenenfalls der Polizei Meldung erstatten.
    Das klang nach einer leicht zu lösenden Aufgabe, aber Schwarz dachte an Burger und wusste, jetzt konnte er nur noch hoffen.

63.
    Linda saß im dunklen Audi und wartete. Wo blieb er denn so lange? Sie schaute sich unruhig nach allen Seiten um. Auf dem Mittleren Ring floss der Verkehr ruhig dahin, und die wenigen Passanten nahmen keine Notiz von ihr. Sie entdeckte einen hellen Fleck auf ihrem schwarzen Ledermini, spuckte auf ihren Zeigefinger und versuchte, ihn wegzureiben. Dabei schob sich der enge Rock noch weiter nach oben und entblößte an der Innenseite ihres Schenkelsdicht unter dem Dreieck des Stringtangas ein kleines eisernes Kreuz.
    Die Tür wurde aufgerissen. Linda zuckte zusammen.
    »Rutsch rüber«, sagte Tim Burger, »ich fahre.«
    Sie kletterte gehorsam auf den Beifahrersitz und sah zu, wie Tim den Sitz ein Stück nach hinten fuhr.
    »Hast du den Zünder?«
    Er nickte und strich zufrieden über die Tasche seiner dunkelblauen Vliesjacke.
    »Kann ich ihn sehen?«
    Burger schüttelte den Kopf.
    »Wohin fahren wir jetzt?«, fragte Linda.
    Er überlegte.
    »Ich bin geil«, sagte sie.
    Er schaute kurz mit zusammengekniffenen Augen in ihre Richtung und schlug ihr mit dem Handrücken voll ins Gesicht.
    Linda sah ihn an. Aus einem Nasenloch lief Blut. Sie lächelte. »Immer noch.«

64.
    Schwarz zog den Deckchair ans Fenster, kippte es und wickelte sich in seine wärmste Wolljacke. So fror er nicht und behielt gleichzeitig einen kühlen Kopf. Er war sich seines Hangs zur Melancholie und Sentimentalität bewusst, hatte im Lauf der Jahre aber Strategien entwickelt, diese Schwächen im Zaum zu halten – zumindest, wenn die Situation es erforderte. Deshalb legte er jetzt nicht die Miles-Davis-Platte mit dem
Concierto de Aranjuez
auf, die er gern gehört hätte. Er trank auch kein Bier und schaute nicht aufdie Straße, deren lebendiges Hin und Her ihn nur auf seine Einsamkeit gestoßen hätte. Aus seiner halb liegenden Position sah er nur den blauschwarzen Himmel mit einigen Leitungen und Satellitenschüsseln davor.
    Schwarz vertrieb tapfer das Bild seiner Mutter, die sprachlos und mit offenen Augen im Krankenbett lag. Er verbot es sich auch, über Monika nachzudenken, die den langweiligen Justus als Gefährten für den Alltag vorzog, aber mit Schwarz Sex hatte. Er beklagte weder die Tatsache, dass seine Tochter Luisa ihm immer fremder wurde, noch dass sein Auftraggeber Karl Loewi ihm gekündigt hatte. Er erforschte auch nicht sein Inneres, ob er sich möglicherweise ein klein wenig in Eva Hahn verliebt hatte.
    Anton Schwarz war in dieser einsamen Nachtstunde an einem Fenster der westlichen Landsberger Straße in München beherrscht wie lange nicht mehr. Denn ihm war klar, dass es jetzt nicht um ihn ging.
    Er dachte an die Brandruine in der Gollierstraße, die inzwischen wahrscheinlich komplett abgerissen war, und die Celiks, die zwei Familienmitglieder im Feuer
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