Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blind vor Wut

Blind vor Wut

Titel: Blind vor Wut
Autoren: J Thompson
Vom Netzwerk:
Ich fragte mich, wo ich mich verstecken konnte, wenn ich die Stunde schwänzte, und was ich machen sollte, wenn die nächste Klasse auch rein weiß wäre. Was, wenn sie alle weiß sind? Mir fiel die Militärakademie wieder ein – dabei hatte ich alles nur Erdenkliche unternommen, um sie zu vergessen –, und mir wurde richtig übel.
    Mutter hatte auf der Akademie dieselbe Nummer durchgezogen, die sie auch schon andernorts gebracht hatte. Sie ließ mich einschreiben, bevor die Lehrer einen Blick auf mich werfen konnten. Die Akademie war in Maryland gewesen (Mutter arbeitete zu der Zeit in Washington). Es gab da irgendeine Absprache mit dem Verteidigungsministerium, wodurch die Akademie in den Genuss eines saftigen Zuschusses durch den Staat kam. Das und die Tatsache, dass Mutter gut mit ein paar Kongressabgeordneten und Senatoren konnte …
    Spaß? Da können Sie wetten. Ein Schwarzer auf fünf zehnhundert Weiße – der nette alte General (i. R.) nannte das den Stolz und die Hoffnung des Südens. In der Messe hatte ich meinen eigenen Tisch. Ich schlief in meinem eigenen Zimmer, nicht im Schlafsaal. Ich hatte in der Turnhalle meine eigene Dusche mit meinem Namen drauf. Ich war aus »körperlichen Gründen« vom Exerzieren befreit, sonst hätte ich wohl meinen eigenen Exerzierplatz gekriegt.
    Ich hatte gute Noten – die habe ich immer, ganz egal wo –, aber ich musste nichts dafür tun. In den neun Monaten dort wurde ich nicht ein einziges Mal aufgerufen, und ich wurde auf die Ehrenrolle jener Schüler gesetzt, die vom schriftlichen Examen befreit waren.
    … Wieder schrillte die Glocke. Die Nachzügler eilten in letzter Minute in die Klassenzimmer. Überall im Gang klappten die Türen zu. Ich stand noch immer da und fragte mich, was zum Teufel ich machen sollte.
    Dann hörte ich ein leises Schlurfen in der Nähe. Das weckte meine Aufmerksamkeit. Ich sah auf, schaute mich um, und da stand dieser dürre Schwarze, der mich nervös angrinste. Er war etwa siebzehn und sah gar nicht übel aus. Wenigstens war er nicht so ein Wollkopf wie ich. Er trug einen glänzenden blauen Anzug, der ihm vielleicht zwei Nummern zu klein war. Die Hosen endeten knapp über den Knöcheln, und auch die Jackenschöße waren ein paar Zentimeter zu kurz.
    »Wie geht’s?«, fragte er.
    »Wie geht’s?«, antwortete ich.
    »Willst du da rein?«, wollte er wissen und nickte in Richtung der Tür zur Geometrie-Klasse.
    »Und du?«, fragte ich zurück.
    »Na ja, bin noch nicht drin gewesen.«
    »Dann bringen wir’s mal hinter uns«, sagte ich.
    Gerade als die Lehrerin die Tür schließen wollte, gingen wir hinein. Sie kontrollierte unsere Stundenpläne und sah uns dann stirnrunzelnd an. Es sei bereits die dritte Schulwoche, betonte sie. Warum wir erst jetzt in die Klasse kommen würden?
    »Du, Gerald … Gerald Franklin«, sagte sie und sah den dürren Burschen an. »Wo bist du gewesen?«
    »Ich?«, erwiderte er. »Meinen Sie mich, Ma’am?« Er rollte mit den Augen und setzte ein maulaffiges Schwarzengesicht auf. »Also, mal sehn. Tja, wo war ich noch gleich?«
    Die Klasse brüllte vor Lachen. Ich hätte den Mistkerl erschlagen können! Die Lehrerin meinte, er werde die Ausfallstunden nachholen müssen, und sagte, er solle sich setzen. Der Bursche schlurfte nach hinten, und eine Welle von Gelächter folgte ihm, weil er weiter auf blöde machte.
    »Und nun zu dir, Allen … Allen Smith …« Die Lehrerin drehte sich zu mir um. »Wo bist du gewesen?«
    »Ich, Miss Joan … Miss Joan Carter?«, fragte ich zurück.
    »Ja, du! Ich will wissen – ach«, sagte sie, und ihre Stimme wurde freundlicher, nachdem sie einen zweiten Blick auf meinen Stundenplan geworfen hatte. »Tut mir leid, Allen. Du bist neu, wie ich sehe.«
    »Nee, Sir, Ma’am, nee, Ma’am, niemals!«, verkündete ich. »Ich bin noch ganz der Alte. Is einfach nur ’ne andere Schule.«
    Wieder Gelächter in der Klasse, aber nicht so wie beim ersten Mal. Da war eine gewisse peinliche Berührtheit, eine Zurückhaltung. Mrs. Carter runzelte die Stirn, damit die Schüler Ruhe gaben, dann fragte sie mich, wo ich zur Schule gegangen sei. Ich antwortete, das sei im guten alten Süden gewesen, jawoll Ma’am, aber sicher. Sie zögerte und fragte mich dann, ob ich schon ebene Geometrie durchgenommen hätte.
    »Eben, Ma’am?« Ich kratzte mich am Kopf und gab ein lautes, glückliches Onkel-Tom-Lachen von mir. »Eben nicht, Ma’am, im Gegenteil! Kam mir eher furchtbar holprig vor, aber
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher