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Blind vor Wut

Blind vor Wut

Titel: Blind vor Wut
Autoren: J Thompson
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meinte damit, ob du Geige spielst. Nur geraten. Alle Geigerinnen, die ich bisher gesehen habe, hatten solche Hände wie du, wohlgeformt, mit wunderschön schmalen Fingern, also hab ich gedacht, du schrubbst die Geige. Und selbst wenn nicht, dachte ich, das wäre doch nett, so etwas zu sagen.«
    Sie sah mich streng und mit zusammengekniffenem Mund an. Ich erwiderte den Blick ernst, besorgt, verwirrt. Ein unschuldiges Kind, das für sein dargebotenes Geschenk eine Ohrfeige kassiert hat.
    »Nun«, sagte sie voller Argwohn. »Also.«
    »Ich glaube, ich finde den Weg jetzt allein«, fuhr ich fort. »Ich scheine andauernd das Falsche zu tun und zu sagen, ganz gleich, wie sehr ich mich anstrenge. Wenn du mir jetzt einfach nur meinen Stundenplan gibst …«
    Das überzeugte sie. Josie lächelte plötzlich, wenn auch ein wenig zweifelnd, und meinte, wir seien wohl beide ein wenig genervt.
    Ich nickte steif und ließ sie spüren, dass sie mich tief verletzt hatte. Wir gingen die Treppe in den ersten Stock hinauf, und Josie erklärte, sie würde zwar keine Geige spielen, hätte es aber immer tun wollen. Ich schwieg weiter – war zu verletzt, um zu sprechen, Sie verstehen –, und sie fragte schüchtern, ob ich denn ein Instrument spielen würde.
    »Flöte«, antwortete ich. »Ich spiele auf der Flöte, solange ich denken kann.«
    »Das ist aber nett. Du musst ziemlich gut darin sein.«
    »Bin ich auch. Ich kann beidhändig spielen.«
    »Das ist ganz schön ungewöhnlich, oder? Spielst du in einem Orchester?«
    »Nein, ich glaube, das würde mir nicht gefallen«, antwortete ich. »Manche machen das, ich weiß, aber ich bin gern mit mir allein. Ich geh einfach ins gute alte Badezimmer und schließe ab. Und dann …«
    »Du schmutziger, widerlicher Mistkerl«, sagte Josie mit leiser, gepresster Stimme. »Man sollte dir den Mund auswaschen.«
    »Mund?«, entgegnete ich. »Meine Mutter sagt immer nur, ich soll mir die Hände waschen.«
    Josie wollte etwas erwidern, verschluckte sich an den Worten, stotterte. Ich grinste sie an, während sie vor einer Tür stehen blieb. Sie machte eine ruckartige Bewegung mit dem Kopf.
    »Das ist dein Klassenzimmer«, erklärte sie. »Und ich hoffe, du – ich hoffe …«
    »Du seifst mich ein?«, fragte ich und legte mir eine Hand hinters Ohr. »Das würde ich auch wirklich gern mal tun, Schätzchen, dich einseifen.«
    Josie machte auf dem Absatz kehrt und ging davon. Dann wurde sie langsamer und blieb stehen. Sie drehte sich um und kam zu mir zurück.
    »Du willst doch nur, dass ich dich bei Mr. Velie melde, stimmt’s?«, fragte sie. »Du willst aus der Schule geschmissen werden.«
    »Geh und scheiß dir in den Hut!«, erwiderte ich.
    »Es ist hart, eine weiße Mutter zu haben, stimmt’s? Das macht einem das Leben sehr schwer, wenn ein Elternteil so jemand ist wie deine Mutter.«
    Ja, es sei hart, antwortete ich. Sie würde ja nicht glauben, wie viel ich für Unterhosen ausgeben müsse. Als Josie nichts erwiderte, sondern mich einfach nur mit stillem Mitgefühl ansah, sagte ich ihr, sie solle sofort damit aufhören, um Gottes willen.
    »Wage es ja nicht, mich zu bemitleiden, du blöde Niggerin! Du kannst dein Mitleid nehmen und es dir sonst wohin stopfen …«
    Eine Glocke schrillte laut und übertönte meine Stimme. Zeit, die Räume zu wechseln. Die Türen sprangen auf, Kinder strömten auf die Gänge hinaus, und Josie Blair verschwand zwischen ihnen. Sie ging wohl zurück an die Arbeit oder zu dem, was sie sonst um diese Tageszeit machte.
    Ich hatte also keine Gelegenheit mehr, ihr zu sagen, wie leid es mir tat.
    Ich hatte keine Gelegenheit mehr, mich auf sie zu stürzen, ihr den Ausdruck gütigen Verständnisses aus dem Gesicht zu prügeln und ihr die hassenswert mitfühlenden Augen auszureißen.

3.
    Auf den Gängen oder in den Klassenräumen, in die ich einen Blick werfen konnte, sah ich nur wenige Schwarze. Vielleicht einen unter fünfzig Weißen. Nicht dass mich das sonderlich gekümmert hätte, wissen Sie? Das soll nur eine Information sein. Es würde mich nicht die Bohne kümmern, wenn jeder schwarze Scheißer im Lande an blutenden Hämorrhoiden krepieren würde.
    Ich stand ein wenig abseits von der Tür zum Klassenzimmer und sah zu, wie die anderen Schüler den Raum betraten. Schließlich waren alle da, wie es aussah, und alle waren sie weiß.
    Ich beugte mich vor und band mir die Schuhe neu. Dann richtete ich mich wieder auf und betrachtete meinen Stundenplan. Zumindest tat ich so.
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