Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst
Autoren: Chevy Stevens
Vom Netzwerk:
Kamin. Lisas Sessel. Sie rollte sich zu einer Kugel zusammen. Ein bernsteinfarbenes Auge blinzelte mich an, dann steckte sie ihre Nase an den Schwanz und schlief ein.

    Zwei Wochen später wurde endlich Josephs Leichnam identifiziert. Ich war froh, dass er nie wieder jemandem weh tun konnte, aber auch frustriert, weil ich jetzt niemals herausfinden würde, ob er wusste, was mit Lisa geschehen war. Und wenn er tot war, wer hatte mich dann beobachtet? Seit Kevin den Unbekannten die Straße entlanggejagt hatte, hatte ich kein unheimliches Gefühl mehr gehabt, und ich hoffte, dass es jetzt endlich vorbei war. Aber könnte es nicht doch Daniel oder ein anderes ehemaliges Mitglied gewesen sein, das einen Groll gegen mich hegte? Eine Woche später wurde die Frage zumindest teilweise beantwortet. Daniel wurde gefasst, als er versuchte, die Grenze zu den Vereinigten Staaten zu überqueren. Er wurde auf der Stelle verhaftet, sagte jedoch aus, er habe nicht gewusst, dass sein Vater plante, irgendjemanden zu verletzen. Er sagte auch, er sei niemals in meine Nähe gekommen. Ich glaubte ihm, doch er würde sich trotzdem vor Gericht für seine Rolle bei den Ereignissen verantworten müssen.
    Ein paar Tage nach Daniels Verhaftung lag ich auf dem Sofa und las ein Buch. Ich hatte eine Decke um mich gewickelt, und die Katze, der ich den Namen Glenda gegeben hatte, schnurrte auf meinem Schoß. Mit der freien Hand blätterte ich die Seiten um, doch sobald ich die Hand, mit der ich sie streichelte, längere Zeit fortnahm, erntete ich ein empörtes Maunzen. Jemand klopfte an die Tür. Die Katze sprang auf, und mein Herz machte einen Satz. In dem Glauben, es sei Kevin, der kurz vorbeischauen wollte, öffnete ich die Tür.
    Doch auf meiner Türschwelle stand nicht Kevin. Es war Lisa.
    »Mom, ich …« Sie verstummte weinend.
    Ich starrte sie an. Schluchzer stiegen in meiner Brust auf, und ich zitterte heftig am ganzen Leib. Ich konnte mich nicht rühren. Meine Glieder waren wie gelähmt, und das Blut rauschte in meinen Ohren. Sie machte einen Schritt vor, und ich riss sie an mich, presste die Stirn an ihre Schulter und umklammerte sie so fest, dass es weh tun musste. Ich bekam kaum Luft, konnte nicht sprechen, nur ein lautes Stöhnen kam über meine Lippen, als ich sie an mich drückte.
    Lisa bebte ebenfalls. Ihr Haar geriet in meinen Mund, mir lief die Nase. Ich versuchte, Luft zu holen, aber ich hatte immer noch keine Kontrolle über meinen Körper. Ich hielt ihren Kopf fest, streichelte ihr immer wieder übers Haar, wiegte sie vor und zurück.
    Endlich schafften es ein paar Worte in erstickten Schluchzern über meine Lippen.
    »O Gott. Danke.«

    Es dauerte lange, bis wir uns genügend beruhigt hatten, um hineinzugehen. Ich zitterte immer noch am ganzen Leib, und mir war so schwindelig, dass ich mich einen Augenblick an die Wand lehnen musste. Immer noch liefen mir Tränen über die Wangen, während meine Tochter meine Hand hielt, um mich zu stützen. Sie sah gut aus. Das Haar war vom Wind zerzaust, aber ihre Kleidung, eine neue Jeansjacke und Cargohose, war sauber. Ihre Augen waren klar, wenn auch vom Weinen gerötet. Sie hatte etwas zugenommen, ihr Gesicht war voller geworden. Ich wollte alles wissen, wo sie gewesen war, was geschehen war. Aber sie hatte Hunger, wollte erst etwas essen und dann reden. Sie meinte, das würde uns beiden helfen, uns zu beruhigen. Sie hatte recht, die Aktivität brachte etwas Normalität in diese surreale Situation. Wir machten Tee und Toast, so wie früher, als sie ein kleines Mädchen war. Eine von uns bestrich den Toast mit Butter, die andere mit Honig. Ich konnte nicht aufhören, sie immer wieder zu berühren, ihr Haar zu streicheln, mich zu vergewissern, dass sie wirklich neben mir stand. Schließlich setzten wir uns auf das Sofa, unsere Knie berührten sich.
    Sie begann zu erzählen. »Das Feuer, Mom, es war so schrecklich – aber ich konnte ihnen nicht helfen. Ich konnte sie nicht herausholen.«
    »Du hast das Feuer gesehen? Wo warst du?«
    »In der Kammer. Aaron hatte mich ein paar Tage zuvor dort eingesperrt – er sagte, dort würde ich Antworten auf all meine Fragen finden, aber es machte mich nur fertig. Als Joseph die Tür öffnete und mir befahl, nach oben zu gehen, versuchte ich es, aber mir war so schwindelig, dass ich mich setzen musste. Er merkte es nicht. Er war viel zu beschäftigt damit, herumzurennen und sich irgendwelche Kanister zu schnappen, und dann verschwand er so schnell, dass
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher