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Blick in Die Angst

Blick in Die Angst

Titel: Blick in Die Angst
Autoren: Chevy Stevens
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dich.«
    Ich blieb stehen, während er hinter seinem Schreibtisch Platz nahm. Ich musterte ihn, die blutunterlaufenen Augen, die dunklen Ringe.
    »Alles in Ordnung mit dir?«, fragte er. »Ich hab gehört, was da draußen mit Aaron passiert ist und alles. Dann das Feuer und das mit deiner Tochter.« Er schüttelte den Kopf. »Was für eine Scheiße.«
    Ich sagte: »Ja, so ist es. Und darum bin ich hier. Ich habe mich gefragt, ob Aaron jemals etwas von einem Unterschlupf erzählt hat. Vielleicht irgendein Ort, zu dem er manchmal ging, von dem sonst niemand wusste?«
    Er schüttelte den Kopf. »Aaron und ich waren keine Kumpels, weißt du. Es ist nicht so, dass er mich über den Kommunenkram ins Vertrauen gezogen hätte.«
    »Du weißt irgendetwas, Levi.« Wir sahen uns an. »Du hast etwas gesehen.«
    »Ich hab dir doch gesagt, ich weiß gar nichts über Aarons Pläne. Der Polizei habe ich dasselbe gesagt. Und ganz bestimmt weiß ich nicht, wo Joseph jetzt ist.«
    Er war ungehalten, was ein Versuch sein konnte, sein schlechtes Gewissen zu überspielen, aber vermutlich sagte er die Wahrheit. Jedenfalls, was Joseph anging.
    »Aber du weißt etwas, was in dem Stall auf dem alten Gelände passiert ist, stimmt’s?«
    »Ach ja? Und was ist da passiert?« Er klang gleichgültig, aber er hatte wieder begonnen, mit seinem Stift herumzutrommeln. Ein nervöser Tick, dessen er sich nicht einmal bewusst zu sein schien.
    »Aaron hat mich gewaltsam in ein Fass gesteckt und mich begraben. Um mich zu foltern.«
    Levi ließ den Stift fallen. Er rollte vom Tisch, doch keiner von uns machte Anstalten, ihn aufzuheben.
    Ich sagte: »Ich hatte Angst, so große Angst, dass ich es jahrelang verdrängt habe. Aber als ich bei Mary war, ist mir alles wieder eingefallen. Und ich habe mich an noch etwas erinnert.«
    Er rollte mit dem Stuhl zurück, lehnte sich an die Fensterbank und versuchte, ruhig und unbekümmert zu wirken, doch seine Hände waren verkrampft, als er die Arme verschränkte. »Und das wäre?«
    »An jenem Tag war noch jemand im Stall gewesen. Ich habe einen Schatten an der Tür vorbeigehen sehen. Das warst du. Du hast die Vögel aufgeschreckt.«
    Als Robbie erzählt hatte, wie Levi zu seiner Narbe gekommen war, war mir alles klargeworden. Ich hatte angenommen, die Vögel hätten das Licht einen Moment lang verdeckt, aber jetzt begriff ich, dass es Levi gewesen war – und dass er nicht mit dem Marihuana erwischt werden wollte.
    Ich rechnete mit Wut, damit, dass Levi leugnete und abstritt – mit allem Möglichen, aber nicht mit dem, was dann folgte. Er richtete seinen Stuhl mit einem Ruck auf, seine Augen füllten sich mit Tränen. Er nickte, einmal, zweimal. Sein ganzer Körper sagte: Ja, stimmt, das habe ich getan. Jetzt ist es raus .
    Er sagte: »Ich war auf dem Heuboden, und ich habe gesehen, was Aaron mit dir auf der Wiese gemacht hat – und dann, wie du zum Stall gerannt bist. Ich wollte dir helfen, aber ich hatte Angst, was Aaron tun würde, wenn er herausfand, dass ich was von dem Pot geklaut hatte.«
    Bei der Vorstellung, dass er zugesehen und meine Hilfeschreie gehört hatte, nur um den richtigen Zeitpunkt abzuwarten, um sich aus dem Stall zu schleichen, wäre ich am liebsten über den Tisch gesprungen und hätte ihm eine gelangt, aber vor Zorn war ich wie gelähmt.
    »Also hast du mich einfach da drin gelassen?«
    »Ich habe draußen gewartet, bis Aaron rausgekommen ist, und dann bist du auch gekommen, also dachte ich, alles wäre in Ordnung. Ich dachte, du würdest es schon irgendwem erzählen, deiner Mom oder so.«
    Er schwieg und sah mich erwartungsvoll an. Versuchte er tatsächlich, sein Verhalten zu rechtfertigen, indem er mir die Schuld gab? Ich schwieg und ließ ihn schmoren.
    »Es tut mir echt leid«, sagte Levi. »Ich hab mich jahrelang mies gefühlt deswegen.«
    Er hatte sich mies gefühlt? Er hatte zugesehen, wie ein Mann mich angegriffen hatte, mich in ein Fass gepfercht und beinahe umgebracht hatte, ein so traumatisches Erlebnis, dass ich jahrzehntelang jede Erinnerung daran verdrängt hatte, und er fühlte sich mies . Eine erneute Woge des Zorns ließ mich die Fäuste ballen.
    Er zuckte die Achseln. »Du hast niemandem davon erzählt, also nahm ich an, dass du nicht wolltest, dass es jemand erfährt.«
    Was hatte er noch all die Jahre über für sich behalten? Dann fielen mir Steves Worte ein, dass Levi eine Frau mit Finn gesehen habe, und ein dumpfes Gefühl breitete sich in meinen Eingeweiden aus. Ich
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