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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure
Autoren: Agatha Christie
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klar, dass ich mich in Wahrheit auf etwas völlig Vages beziehe. Was ich meine, ist lediglich das Glas – oder die Tasse –, aus denen George kürzlich getrunken hat – und die sich in nichts von diversen anderen Gläsern oder Tassen mit demselben Muster unterscheiden.
    Um dies zu illustrieren, machte ich ein Experiment. Race trank seinen Tee ohne Zucker, Kemp tat Zucker hinein, und ich hatte Kaffee bestellt. Äußerlich hatten die drei Getränke in etwa dieselbe Farbe. Wir saßen um einen kleinen Marmortisch herum zwischen anderen runden Marmortischchen. Ich täuschte einen plötzlichen Geistesblitz vor und nötigte die beiden von ihren Sitzen hoch nach draußen in die Eingangshalle. Als wir hinausgingen, stieß ich die Stühle beiseite, und außerdem gelang es mir, Kemps Pfeife, die bei seinem Teller lag, in eine ähnliche Position neben meinem Teller zu verschieben, ohne dass er es bemerkte. Sobald wir draußen waren, ließ ich mir eine Entschuldigung einfallen, und wir kehrten an unsere Plätze zurück, Kemp als Erster. Er zog seinen Stuhl an den Tisch und setzte sich vor den Teller, der durch seine Pfeife als derjenige markiert war, der ihm gehört hatte. Race setzte sich, wie zuvor, rechts von ihm hin, und ich links – aber passt auf, was geschehen war! Ein neuer Widerspruch von a) und b)! a) Kemps Tasse enthält Tee mit Zucker; b) Kemps Tasse enthält Kaffee. Zwei einander widersprechende Aussagen, die nicht beide zugleich stimmen können – aber sie stimmen beide zugleich. Der irreführende Ausdruck ist ‹Kemps Tasse›. Kemps Tasse, bevor er den Tisch verließ, und Kemps Tasse, als er zum Tisch zurückkehrte, sind nicht identisch.
    Und genau das ist es, Iris, was an jenem Abend im L u xembourg geschah. Nach dem Variete, als alle tanzen gingen, hast du dein Täschchen fallen lassen. Ein Kellner hob es auf – nicht der Kellner, der Kellner, der für diesen Tisch zuständig war, der also genau wusste, wo du gesessen hattest, sondern ein Kellner, ein verängstigter, bemühter kleiner Hilfskellner, von allen herumkommandiert, der mit seiner Sauce irgendwohin hetzte und sich rasch bückte, die Tasche aufhob und sie neben ein Gedeck legte – wobei es sich in Wahrheit um den Platz links neben deinem handelte. Du und George kamt als Erste zurück, und du bist, ohne groß darüber nachzudenken, zu dem Platz gegangen, an dem deine Tasche lag – genau wie Kemp den Platz einnahm, der durch seine Pfeife gekennzeichnet war. George setzte sich auf den Stuhl, den er für seinen hielt, rechts von dir. Und als er auf Rosemarys Andenken anstieß, trank er aus dem Glas, das vermeintlich seines, in Wirklichkeit aber dein Glas war – das Glas, das ganz leicht mit Gift versehen sein konnte, ohne dass man auf Hexerei zurückgreifen müsste, um es zu erklären, denn die einzige Person, die direkt nach dem Variete nicht mittrank, war zwangsläufig die Person, auf deren Wohl getrunken wurde!
    Jetzt geh die ganze Geschichte noch einmal durch, und sie sieht völlig anders aus! Du solltest das Opfer sein, nicht George! Es hat den Anschein, als ob George bloß benutzt wurde, nicht wahr? Wie hätte die Geschichte sich nach außen hin dargestellt, wenn die Sache nicht schief gelaufen wäre? Eine Wiederholung der Feier vom vorigen Jahr – und eine Wiederholung von – Selbstmord! Natürlich, so hätten die Leute gesagt, in der Familie gibt es eine depressive Veranlagung! Ein Papiertütchen, das Zyankali enthielt, in deiner Handtasche. Klarer Fall! Das arme Mädchen kam über den Tod der Schwester nicht hinweg. Äußerst traurig – aber diese reichen Mädchen neigen manchmal zu Neurosen!»
    Iris unterbrach ihn.
    «Aber warum sollte irgendjemand mich umbringen wollen?», rief sie. «Warum? Warum!?»
    «All das hübsche Geld, mein Engel! Money, money, money! Nach Rosemarys Tod hast du ihr Vermögen geerbt. Nun nimm mal an, du würdest sterben – unverheiratet? Wohin würde das Geld fließen? Die Antwort wäre, dass es deine nächste Verwandte erben würde – deine Tante, Lucilla Drake. Nun, nach allem, was ich über die liebe Dame gehört hatte, konnte ich sie mir nur schwer als Mörderin vorstellen. Aber gibt es sonst noch wen, der profitieren würde? Ja, allerdings! Victor Drake. Wenn Lucilla Geld hätte, liefe es aufs Gleiche hinaus, als wenn Victor es hätte – dafür würde Victor schon sorgen! Er hat seine Mutter immer um den Finger gewickelt. Und ich habe überhaupt keine Schwierigkeiten damit, Victor als Mörder zu sehen.
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