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Blausäure

Blausäure

Titel: Blausäure
Autoren: Agatha Christie
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elektrisches Licht eine friedliche Stimmung. Mit der Hoffnung und Hingabe eines Terriers war Lucilla Drake damit befasst, die Fächer des Schreibtisches zu durchwühlen.
    «Ojemine! Wo habe ich bloß den Brief von Mrs Marsham hingelegt? Momentchen mal…», murmelte sie laut.
    «Wo ist Iris?», fragte Anthony unvermittelt.
    Lucilla drehte sich um und starrte ihn an.
    «Iris? Sie – entschuldigen Sie mal!»
    Sie richtete sich auf. «Darf ich fragen, wer Sie sind?»
    Race trat einen Schritt hinter Anthony hervor, und Lucillas Gesicht erhellte sich. Sie sah Chief Inspector Kemp noch nicht, der soeben als Dritter den Raum betrat.
    «Ach, Colonel Race! Wie gütig von Ihnen, dass Sie kommen! Aber ich wünschte, Sie hätten ein wenig früher hier sein können – ich hätte Sie zu gern wegen des Begräbnisses um Rat gefragt – der Rat eines Mannes ist immer so wertvoll. Und ich habe mich wirklich so aufgeregt, wie ich schon zu Miss Lessing sagte, dass selbst ich keinen klaren Gedanken fassen konnte. Und ich muss sagen, dass Miss Lessing dieses Mal wirklich sehr mitfühlend war – sie versprach, alles zu tun, was in ihren Kräften stand, um mir die Last abzunehmen –, aber, wie sie sehr verständig bemerkte, natürlich bin ich diejenige, die am besten wissen könnte, was Georges Lieblingschoräle waren. Nicht dass ich es wirklich weiß, George ging ja leider nicht allzu oft in die Kirche – aber als Frau eines Pfarrers natürlich – ich meine, als Witwe – da weiß ich schließlich, was am besten passt.»
    Race nutzte eine kurze Atempause, um seine Frage dazwischenzuschieben:
    «Wo ist Miss Marie?»
    «Iris? Sie ist vor einiger Zeit nach Hause gekommen. Sie sagte, sie hätte Kopfschmerzen und würde gleich hoch auf ihr Zimmer gehen. Diese jungen Mädchen heutzutage haben, scheint’s, nicht mehr viel Ausdauer – sie essen nicht genügend Spinat, wissen Sie – und sie scheint auch nicht viel dafür übrig zu haben, über die Beerdigung zu sprechen. Aber irgendjemand muss diese Dinge ja schließlich erledigen – und man möchte doch das Gefühl haben, dass alles aufs Beste arrangiert ist und den Toten die rechte Ehre erwiesen wird – Leichenautos zum Beispiel habe ich nie für pietätvoll gehalten – wenn Sie mich verstehen. Das ist doch nicht dasselbe wie Pferde mit ihren langen schwarzen Schweifen – aber ich habe natürlich zugestimmt, und Ruth – ich nannte sie Ruth und nicht Miss Lessing – Ruth und ich kamen großartig miteinander zurecht. Ich sagte, sie könne alles ruhig uns überlassen.»
    «Ist Miss Lessing schon gegangen?», fragte Kemp.
    «Ja, wir haben alles geregelt, und Miss Lessing ist vor ungefähr zehn Minuten gegangen. Sie hat auch die Anzeigenentwürfe für die Zeitungen mitgenommen – von Blumenspenden bitten wir natürlich abzusehen, unter den gegebenen Umständen – und Kanonikus Westbury hält den Trauergottesdienst – »
    Während der Redestrom weiterfloss, stahl sich Anthony behutsam zur Tür heraus. Er hatte das Zimmer bereits verlassen, als Lucilla plötzlich ihren Redeschwall unterbrach, um zu fragen:
    «Wer war denn eigentlich der junge Mann, der mit Ihnen kam? Ich habe nicht sofort begriffen, dass Sie ihn mitgebracht hatten. Ich dachte erst, er wäre vielleicht einer von diesen grauenhaften Journalisten. Mit denen haben wir so viel Ärger gehabt.»
    Anthony eilte leichtfüßig die Treppen hinauf. Als er Schritte hinter sich hörte, wandte er den Kopf und grinste Chief Inspector Kemp an.
    «Sie haben auch die Flucht ergriffen? Armer alter Race!»
    «Er macht das so nett», murmelte Kemp. «Und ich bin in diesen Gefilden nicht so beliebt.»
    Sie waren im zweiten Stock angelangt und wollten gerade die Treppe zum dritten hinaufgehen, als Anthony leise Schritte herunterkommen hörte. Er zog Kemp in das nächstbeste Badezimmer.
    Die Schritte gingen an ihnen vorbei die Treppen hinunter.
    Anthony glitt heraus und rannte die nächste Treppe hinauf. Iris’ Zimmer war, wie er wusste, das kleine am Ende des Flurs. Er klopfte sachte an die Tür.
    «Hallo – Iris!»
    Es kam keine Antwort – und er klopfte und rief noch einmal. Dann versuchte er, den Türgriff zu drehen, aber die Tür war verschlossen.
    Er hämmerte mit den Fäusten dagegen.
    «Iris – Iris – »
    Nach einigen Augenblicken hörte er auf und guckte an der Tür hinunter. Er stand auf einem jener altmodischen Läufer aus Wolle, die man vor die Türen legt, um die Zugluft abzuhalten. Dieser war eng vor die Tür gestopft.
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