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Blaubeeren und Vanilleeis

Blaubeeren und Vanilleeis

Titel: Blaubeeren und Vanilleeis
Autoren: Gudrun Helgadottir
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einmal einen schmutzigen Kerl mit nach Hause gebracht hatte, sicher einen Suffkopf von der Straße. »Dem ging’s so dreckig«, hatte sie erklärt. »Saß mutterseelenallein da draußen in Kälte und Schnee an einem Laternenpfahl mitten auf dem Bürgersteig.« Und der armen Oma blieb nichts anderes übrig, als ihn in die Badewanne zu stecken und ihm Kleider von Opa zu leihen.
    »Gegen Barmherzigkeit ist nichts einzuwenden«, hatte Opa dazu gesagt. Seine Sachen hat er nie wieder gesehen, doch das machte ihm nichts aus. Als der Mann gegangen war, hatte Opa ihm sogar noch seinen alten Parka übergezogen, und Oma war heilfroh, das olle Ding los zu sein. Sie hatte die Jacke nie ausstehen können.

    Tumi nahm die Sache also in die Hand. Als er am nächsten Tag heimlich den Umschlag auf den Schalter legte, lackierte sich die Frau hinter der Scheibe immer noch die Nägel. Und der alte Mann hantierte immer noch in der Ecke hinter dem Schrank mit Akten herum. Seine langen Haare hatte er in einem missratenen Kringel auf dem Kopf platziert, als hätte dort ein stockblinder Vogel sein Nest gebaut, und darunter glänzte eine Glatze.
    »Na, da bist du ja wieder, mein kleiner Freund«, sagte er zu Tumi. »Können wir dir weiterhelfen?«
    Verzweifelt blickte Tumi um sich. Doch er hatte Glück. Auf dem Schalter lag ein dicker Stapel Stundenpläne.
    »Nee, ich wollte mir nur so einen Stundenplan holen«, sagte er und war stolz auf den rettenden Einfall.
    »Nimm so viele du willst«, sagte der Mann.
    Tumi zögerte einen Augenblick, dann nahm er so viele Stundenpläne, dass sie für seine ganze Klasse gereicht hätten. Und es gelang ihm, den Umschlag mit der Einladung auf den Schalter zu legen, ohne dass es jemand bemerkte.
    »Nettes Kerlchen«, hörte er den Mann beim Hinausgehen sagen.
    Ja, das bin ich, dachte Tumi gut gelaunt. Wenn man etwas erreichen wollte, musste man die Dinge nun einmal selbst in die Hand nehmen. Oma hatte einmal zu Mama gesagt, dass Papa sich nie mal so richtig in etwas reingehängt hätte. Das war nicht für Tumis Ohren bestimmt gewesen, aber er hatte es trotzdem gehört. Und er hatte auch selbst schon bemerkt, dass Papa oft über tausend Dinge sprach, die er tun wollte, dann aber doch nie machte.
    Komisch, dachte Tumi. Man hat jemanden richtig lieb, zum Beispiel Papa, und trotzdem ist man ab und zu stinkig auf ihn. Manchmal konnte Tumi sogar Sigga verstehen, wenn sie mal wieder böse auf Papa war. Zum Beispiel, wenn sie nach Hause wollte und sagte: »Kommst du?« Und er sagte: »Ja«, rührte sich aber nicht. Das würde mich wahnsinnig machen, dachte Tumi und lief zufrieden nach Hause.

[zurück]

    Großes Wirbeln vor dem Fest
    Geburtstagskind Mama hatte alle Hände voll zu tun mit einer Bestellung, die noch vor der Feier fertig sein musste, damit sie am großen Tag guten Gewissens abschalten konnte. Dabei war es kein Pappenstiel, was in den Tagen vor dem Geburtstag auf dem Wallhof gestemmt wurde: Tumi und Vildis hatten alles, was in ihren Zimmern war, sortiert und neu eingeräumt. Die Bücher standen fein säuberlich aufgereiht in den Regalen, die Buntstifte lagen in Körben, die Mama gefunden hatte, die Puzzleteile in den Kartons, in denen sie zu Hause waren, Legosteine in einer Kiste und Playmobilmännchen in einer anderen. Das alles war vorher ein heilloses Durcheinander gewesen, in dem man beim besten Willen nichts wiederfinden konnte.
    »Wow, ist das viel«, stöhnte Tumi, der sich damit abmühte, seine Autoflotte auf dem untersten Regalbrett zu parken.
    »Und trotzdem redest du immer davon, was du alles noch brauchst«, sagte Vildis, die dem Großbesitzer half, das Eisenbahnsystem zusammenzubauen, das der Opa aus dem Norden ihrem Bruder zu Weihnachten geschenkt hatte.
    »Jetzt brauche ich nur noch einen Computer«, sagte Tumi. »Alle Jungs haben einen.«
    »Glaubst du etwa, dass nur Jungs Computer haben?«, fragte Vildis. »Ich brauche genauso dringend einen wie du. Aber das kostet Grillionen! Und außerdem dürfen wir ja an Mamas Computer. Geh mal eben da weg. Ich möchte unter deinem Bett fegen.«
    Doch für den Besen gab es kein Durchkommen. Zuerst musste Vildis zerbeulte Sporttaschen, zerschlissene, steinharte Turnschuhe, den Karton von der Eisenbahn und noch so manch anderes Schmuckstück aus dem Weg räumen. Erst dann passte der Besen unters Bett, und mit ihm kamen die seltsamsten Objekte hervor, die meisten eher unappetitlich: drei schmutzige Socken, die alle nicht zusammengehörten, eine halb
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