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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman
Autoren: Christian Sidjani
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Blank“, sagte Damon Black und tippte mit seinem Zeigefinger gegen Marcus Stirn, „ist eine gute Frage.“ Wieder an das Publikum gewandt: „Was ist mit Blanks Mama?“ Gelächter. Dann beugte er sich wieder vor, näher und näher. „Deine Mutter wird sterben, Blank.“
    „Nein, wird sie nicht.“
    „Oh doch, das wird sie. Wenn du mir nicht verraten kannst, wie der Trick funktioniert. Und wenn du mir nur einen Teil verraten kannst, stirbt sie trotzdem, Blank. Kannst du mir aber gar nichts verraten.“ Der Mentalist lehnte sich wieder zurück und zuckte mit seinen Schultern. „Tja, dann sterbt ihr beide.“
    „Nein“, flüsterte Marcus.
    „Du liegst im Koma, kleiner Mann.“ Gelächter.
    Warum bist du so gemein, dachte Marcus.
    „Ich bin nicht gemein, ich bin dein Zufall.“ Gelächter.„Okay, kleiner Mann. War es der Herz-König, an den du gedacht hast?“
    „Ja, war es.“
    Plötzlich rauchte Damon Black, als war die Zigarette in dem Bild schon immer da und hatte sich nur versteckt hinter anderen Farben, oder als hatte Marcus seinen Blick auf Details erweitert.
    „Tja, das ist komisch. Der Herz-König ist nämlich gar nicht in dem Kartendeck.“
    „Das weiß ich doch“, sagte Marcus, „ich habe ihn mir ausgedacht.“
    „Ah, ein Neunmalkluger, wie ich finde.“ Gelächter. Damon Black begann zu husten und eine zusammen gerollte Karte brannte zwischen seinen Lippen, der Herz-König. Ein verschwommenes Blatt, Marcus konnte die Konturen nicht wirklich erkennen, aber es war eindeutig seine Karte.
    „Nun, Blank, wie habe ich das gemacht?“
    Marcus weinte. Gelächter aus dem Publikum.
    „Wie habe ich das gemacht, Blank? Weißt du es nicht?“
    „Nein“, erwiderte er unter Tränen, „nein, ich weiß es nicht.“ Natürlich weiß ich es nicht, dachte er, ich hab den Trick doch erst gestern gesehen. „Neues schützt nicht vor Unwissen.“
    Applaus.
    Gelächter.
    Licht aus.
    Als Marcus erwachte, schmerzte sein Kopf. Träge öffnete er die Augen, gleißendes Licht, und er sah weiß. Weiße Wände, weiße Bettwäsche, selbst die Personen um ihn waren in weiß gekleidet. Und unter ihnen seine Mutter, in schwarzem Pullover und blauer Jeans. Ein Engel, der aus allen Farben heraus sich für ihn manifestierte. Seine erste Frage war an sie gerichtet:
    „Mama, sind wir tot?“
    Claudias Mund öffnete sich, aber kein Ton erklang, nur leises Schluchzen. Da brach sie in Tränen aus und ein Arzt antwortete stattdessen:
    „Nein, kleiner Mann, wie du siehst, ihr seid nicht tot, niemand ist tot. Du und deine Mutter, ihr habt sehr viel Glück gehabt bei dem Unfall.“
    Marcus glaubte ihm nicht. Wie seine Mutter weinte, die geröteten Augen, das Zucken ihres Körpers, glaubte er, die Antwort auf seine Frage schon längst vernommen zu haben. Seine Mutter weinte, weil er Damon Blacks Frage nicht beantwortet hatte, und sie nun beide verstorben waren.
    Und nun, ja, wo waren sie? Es sah nach einem Krankenzimmer aus, aber Marcus wusste es besser. Es war ein Trugbild, eigentlich konnte dieser Ort überall sein, im Jenseits gab es doch keinen Raum, oder?
    Immer wenn seine Mutter in den folgenden Tagen mit ihm über das Leben sprach, das auf Marcus nach dem Krankenhaus wartete (hauptsächlich Schule und Freunde), glaubte er, sie log, damit er die Wahrheit besser ertragen konnte.
    „Aber Mama, du brauchst mir nichts mehr vorzuspielen“, sagte er nach der ersten Woche, „ich bin jetzt alt genug, die Wahrheit zu ertragen. Ich weiß, dass wir tot sind. Aber das macht doch nichts, wir haben ja uns.“
    Häufig weinte Claudia, viel zu häufig, dachte Marcus. Als sie ihn später dann zu Veronika schickte, einer guten Freundin und Psychotherapeutin, fragte Marcus, ob er böse gewesen sei. Sie solle ihm nur helfen, sich zurecht zu finden, war ihre Antwort.
    „Hier im Jenseits?“
    „Ja“, spielte Claudia nun mit, „hier im Jenseits, da gibt es viele Regeln, weißt du, und Veronika kann dir helfen, sie zu erlernen und anzuwenden.“
    In seiner zweiten Sitzung stellte Veronika ihm eine Frage, die sie bis zum Ende der Therapie immer wieder stellen sollte. Eine Frage, die er sich heute fast jeden Tag stellt, weil sie misst, was sichtbar nicht zu messen ist.
    „Wie geht es dir heute, Marcus?“
    Kann ich nicht sagen, denkt er häufig, ich fühle nicht viel. Aber ich bin nicht tot, das weiß ich jetzt, aber ganz lebendig, das bin ich auch nicht. Vielleicht geht es mir gut, nur das weiß ich noch nicht.
    Die Therapie verschlang ein
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