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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman
Autoren: Christian Sidjani
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Dann kann ich dir auch ein paar alte Fotos zeigen, die dein Vater und ich zusammen gemacht haben.“ 
    „Ist er da auch drauf?“
    Der alte Mann lachte wieder, er lachte viel. „Klar ist er da auch drauf! Was denkst du denn?“
    Erst wollte der kleine Junge begeistert zustimmen, gleich mitkommen, aber dann dachte er an seine Mutter, die so gar nicht begeistert wäre, wenn er zu dem alten Mann nach Hause ging, denn eigentlich war er fremd, und Fremden, so weiß ein Kind, den sollte man nicht trauen, weil sie fremd waren und was Böses tun könnten.
    Als der alte Mann die Skepsis in den Augen des Jungen las, lachte er wieder, dass sein grauer Bart bebte.
    „Na, du brauchst ja nicht heute zu kommen, kannst auch morgen kommen, oder übermorgen, ich bin immer hier, wie du weißt. Aber versprich mir, sag deiner Mutter nicht, dass ich dir alte Fotos zeigen will. Sie mochte mich nicht so, weil ich mit deinem Vater immer so viel unterwegs war. Weißt du, sie war eifersüchtig, ein bisschen. Kannst du denn ein Geheimnis für dich behalten, mein Junge?“
    „Klar kann ich das“, rief er begeistert, Geheimnisse mochte er, der kleine Junge. „Dann komme ich morgen, okay? Ich muss jetzt los.“
    „Ich bin hier“, sagte der alte Mann. „Ich bin hier und laufe nicht weg.“
    Und er lief nicht weg. Auch am nächsten Tag saß er wieder auf dem Hocker im Kiosk und trank sein Bier. Der kleine Junge war nun mutiger und forderte den alten Mann auf, ihm die Fotos zu zeigen. Er hatte die Nacht nicht schlafen können, weil er sich vorstellte, was er alles auf diesen Fotos zu sehen bekommen würde. Männer in verrauchten Bars an Kartentischen, zum Beispiel, sein Vater lachend, Arm in Arm mit dem alten Mann. Und welche Geschichten der alte Mann erzählen würde, wie der Vater des kleinen Jungen die Bösen jagte. Neue Geschichten vielleicht, die seine Mutter gar nicht kannte. Oh ja, das wollte er wissen.
    „Dann komm' mal mit“, sagte der alte Mann, stand auf und nahm den Jungen bei der Hand, fest und schwitzig. Sie gingen in das Haus mit der Vierzehn, in den zweiten Stock. Die Wohnung roch so fremd und alt, irgendwie unrein und nach kaltem Rauch. Überall lagen Papiere und einige Essensreste, elektrische Geräte und Videokassetten.
    „Willst du eine Limonade, mein Junge?“
    Klar wollte der kleine Junge eine Limonade, welcher kleine Junge lehnte sie schon ab?, und der alte Mann ging in seine Küche, die ebenfalls dreckig war, öffnete den Kühlschrank, holte zwei Flaschen und reichte dem kleinen eine mit der dunklen, süßen Flüssigkeit.
    „Möchtest du auch Kuchen? Ich habe jede Menge Kuchen. Meine Mutter macht den immer selber.“
    „Du hast noch eine Mutter?“
    Der alte Mann lachte. „Ja, so alt bin ich nun auch wieder nicht. Also willst du Kuchen, mit lecker Schoko?“
    Klar wollte der Junge auch den Schokokuchen, und trotz des Geruchs und der Unordnung fühlte er sich bald wohl, als er auf dem Sessel saß, der viele Flecken hatte, und die Limonade trank und den Kuchen aß.
    Beinahe vergaß der kleine Junge, warum er eigentlich hier war, aber als der alte Mann sich auf sein Sofa setzte und ein weiteres Bier zu trinken begann, dachte der Junge an die Fotos, die er unbedingt sehen wollte, mit seinem Vater, dem Mann, dem er nie begegnet war. Ein Wesen, so ungreifbar, dass es gar nicht zu existieren schien, und doch, so viel begriff der Junge, ohne dem er selbst gar nicht existieren würde.
    „Zeigst du mir jetzt die Fotos?“
    Plötzlich streckte sich der alte Mann und zog langsam seinen Pullover aus, darunter trug er ein weißes Unterhemd. Wenigstens das sah frisch gewaschen aus, aber die Achselhaare brachen hervor wie schwarzes Feuer unter den Armen, dicht und buschig und, eklig, fand der kleine Junge.
    „Es ist so warm hier, findest du nicht?“
    „Weiß nicht“, sagte der kleine Junge und zuckte mit den Schultern.
    „Willst du nicht auch deinen Pullover ausziehen? Wenn man zu warm angezogen ist, kann man sich leicht erkälten.“
    Das fand der kleine Junge unlogisch und zuckte wieder mit den Schultern.
    „Ich bin noch nie krank geworden, wenn ich zu warm angezogen war“, antwortete er.
    „Aber ich“, sagte der alte Mann und zog nun auch sein Unterhemd aus. Sein Bauch war so groß, dass der kleine Junge hinstarren musste, gleichsam fasziniert und abgestoßen.
    „Na, das ist ein Bauch, was?“, sagte der alte Mann und klatschte sich mit beiden Händen auf seinen Wanst. „Hast du auch so
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