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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman
Autoren: Christian Sidjani
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viele subjektive Bösartigkeiten der Journalisten in den Zeilen steckten, die Fakten sprachen eindeutig.
    Der Junge, der jetzt ein junger Mann war, fühlte nichts als Erleichterung beim Lesen (die Zeitung hatte er nicht gekauft, er hatte sie gefunden in der U-Bahn, wo manche ihre Blätter täglich liegen ließen). Er war froh, dass er entkommen war und dass die Lügen wirklich Lügen waren.
    Seltsam vertraut war der Inhalt der Artikels, vermehrte Meldungen über das pädophile Treiben der Deutschen waren nichts Ungewöhnliches mehr, auch wenn sie weiterhin erschreckten. Manche sagen, das Leben sei Wahnsinn, aber es ist kein Wahnsinn auf Papier. Dort bleibt es, aller Meinungen beraubt, zu allererst Wahrheit, nackt und ungeschönt. Und mit Wahrheit konnte der kleine Junge jetzt umgehen. Dachte er.
     

Kapitel 1
    Taub
     
    MARCUS GLAUBT NICHT an Sicherheiten. Die Welt als fragiles Windspiel. Alles kann zerbrechen, wie Annas Hand in seiner, wenn er zudrücken würde. Sicherheit ist eine Illusion, mit der sich der Mensch selbst belügt, ein Zaubertrick, für den sich niemand die Mühe macht, ihn durchschauen zu wollen. Die Mutter des Alltags und der Gegner des Zufalls.
    Sicher ist nur, denkt Marcus, dass Anna und er jetzt auf dem Weg zu Karsten sind, so wie jede Woche; dass Anna unten warten wird, während er allein hinauf in den zweiten Stock geht, und dass Tim und Maurice bei Karsten auf dem Sofa sitzen werden. Aber gibt ihm das Sicherheit? Was braucht es, um das Vorhersehbare einstürzen zu lassen? Marcus ersehnt den Moment, der alles ändert, den Augenblick, der sein Handeln für die Zukunft entscheidend beeinflussen wird. So ändert sich, wenn nicht die Welt, dann zumindest er selbst.
    Die Kunst ist nur, diesen Augenblick auch wahrzunehmen. Wenn Marcus nicht achtsam ist, zieht der Augenblick ungehört und vergeudet vorbei. Wie viele Augenblicke sind auf diese Weise schon verkommen? Wie oft hat Marcus nicht hingehört, auf das innere Rufen, das heute wieder schreit?
    Ganz bestimmt aber durchlebte Marcus schon mehrere solcher Momente während seiner fünfundzwanzig Jahre, die er jetzt auf Erden wandelt; als heranwachsendes Kind häufen sich solche Momente sogar; erinnern kann er sich nur an zwei. Und beide sind untrennbar mit einer anderen Person verbunden. Nein, weder mit seiner Mutter noch mit einer Freundin oder gar einem guten Freund, sondern mit Damon Black, dem britischen Mental-Magier, und Norbert Schröder-Piller, einem KFZ-Mechaniker aus Bergedorf in Hamburg, wo auch Marcus wohnt (allerdings in einem anderen Stadtteil; zum Glück, würde er hinzufügen).
    Beide Personen sind Fremde für ihn, obwohl Marcus glaubt, den ersteren gut zu kennen, wie es eben möglich ist, eine Person des öffentlichen Lebens zu kennen; den Nachnamen des zweiten hörte er bei dem Auftakt der Gerichtsverhandlungen zum ersten Mal, was unter Marcus' Freunden für Gelächter sorgte, nicht im Gericht, aber vor dem Gebäude. Beide Menschen waren entscheidend für Marcus' Leben, ja, für sein Denken und das spätere Handeln. Dies sind die kurzen Geschichten von ihren Momenten, bevor Marcus im Jetzt seinen dritten Wendepunkt erspüren wird.
     
    DAMON BLACK IST bis heute nahezu unbekannt in Deutschland, obwohl er auf seiner Heimatinsel seit über zehn Jahren, besonders im Fernsehen, mit seinen Tricks für Aufsehen sorgt (in einer Show mockierte er gar das Reality-Programm der modernen Fernseh-Sender, indem er vor laufender Kamera russisisches Roulette spielte). Damon Black hat keine Auftritte hier, und keine seiner Sendungen und Serien wurde bisher im heimischen TV gezeigt. Marcus hält das für den sichersten Beweis der Unzulänglichkeit von Programm-Direktoren. Seine Briefe an die einzelnen Fernsehsender, in denen er darum bat, Damon Black in Deutschland eine Chance zu geben, blieben unbeantwortet, und ungehört.
    Nur ein Mal, im Jahr 1997, zu Beginn seiner Karriere, strahlte ein deutscher, privater Sender im Rahmen eines Themen-Abends Damon Blacks erste Show aus, die mit 'Geist über Wahrheit' übersetzt wurde. Anders als seine Kollegen, die darauf bestanden, echte 'Psychics' zu sein, also übersinnlich Begabte, wies er zu Beginn darauf hin, dass sein Programm „Zauberei, Beeinflussung, Psychologie, Irreführung und Entertainment“ verband und er seine Resultate aus einer „bestimmten Mixtur dieser Techniken“ bekam. „An keiner Stelle habe ich Schauspieler oder Eingeweihte für meine Show genutzt. Und dennoch habe ich keine
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