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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman
Autoren: Christian Sidjani
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Prolog
    Der kleine Junge
     
    MANCHE MOMENTE VERÄNDERN ein Menschenleben. Und manchmal scheint es so, dass das Leben auf diese Momente vorbereitet, alles nach Plan. Ein manches Mal aber überraschen sie ihren Empfänger. Veränderungen geschehen so plötzlich, dass sie sich dem Verständnis entziehen. Wie aus heiterem Himmel, heißt es dann. Keine Anzeichen zuvor.
    Vielleicht sind beide Momente nur zwei Facetten desselben Phänomens. Und erst im Nachhinein erkennt der Empfänger, dass alles, was er im Leben bisher erlebte, einen Sinn ergibt, weil ein Moment nach seinen bisherigen Erfahrungen verlangte. Jedes Detail eines Lebens, ob bisher unbedeutend oder nicht, fügt sich mit den anderen zusammen für ein vollständiges Puzzle. Der Mensch hat eine Erleuchtung, eine Epiphanie, und der Moment führt zu einem Wendepunkt.
    Doch jeder Wendepunkt ist mit dem schmerzhaftesten Ding verbunden, das der Mensch zu kennen vermag, der Wahrheit. Wie weh sie doch tut, die bittere Süße der Realität, wenn alles, was zuvor geglaubt, zusammen stürzt, weil Lügen durchschaut werden. Diese Wendepunkte sind aber notwendig, ja, das Elixier einer jeden Entwicklung.
    Wie in der Geschichte vom kleinen Jungen, der eines Tages jenen Moment erlebte, in dem sein kleines Gehirn zum Verstehen zusammen fügte, dass die Welt der Erwachsenen keineswegs vor Lügen gefeit ist. Sondern im Gegenteil, dass Erwachsene Lügen bewusst einsetzen können und es auch tun. Für Ziele, die sich seinem Verständnis entziehen. Und manchmal auch auf anderer Kosten.
     
    SO WAR EINMAL ein kleiner Junge, der gar nicht mehr so klein war, sieben Jahre alt, und wie er dachte, doch schon sehr erwachsen. Er ging in die zweite Klasse, hatte eine Freundin, mit der er eifrig Händchen hielt und nach der Schule zum Eis essen ging. Der kleine Junge sah nicht gerne fernsehen, lieber erlebte er was draußen, mit seinen Freunden, war auf Spielplätzen und in Einkaufszentren, auf Märkten und im Kiosk nebenan, wo er Comic-Hefte las, die er sich nicht leisten konnte. Der kleine Junge war so frei, wie jemand ist, der gar nicht weiß, dass er einer Freiheit bedarf. Nur ein Kind kann so frei sein. Ein Kind wie der kleine Junge.
    Seine Mutter sorgte dafür, dass er nichts misste, auch wenn der kleine Junge seinen Vater vermisste, der zwar Besuche ankündigte, aber nie einhielt.
    Die Mutter des kleinen Jungen sagte dann immer: „Papa ist so viel beschäftigt, es tut ihm leid. Und du weißt, er wohnt über dem großen Teich, das ist ganz weit weg und um hierher zu kommen, braucht er Zeit, aber die hat er nicht, weil er die Bösen jagt.“
    Sie erzählte viele Geschichten von seinem Vater (zum Beispiel die von einem afrikanischen Dorf, das er vor feindlichen Angriffen schützte), und sie begleiteten ihn nicht selten in den Schlaf, wenn seine Mutter sich Zeit nahm, als er schon im Bett lag. Der kleine Junge, ja, so kann man denken, war glücklich, mit einer Mutter, die dafür sorgte, dass er nichts misste, und einem Vater, der für Gerechtigkeit auf der Welt sorgte.
    Eines Tages saß der kleine Junge wieder im Kiosk nebenan, und der Verkäufer war, nur kurz, nach hinten, wie er sagte, um dann die Getränke aufzufüllen. Da sprach ihn der alte Mann an, der auch immer da war und gar nicht so alt war, nur für den kleinen Jungen war er alt, weil ein Mann mit grauen Haaren alt sein musste.
    Der alte Mann trank sein Bierchen, wie er sagte, ein Bierchen am Tag, das brauchte er, damit er glücklich war, und glücklich sein, dass sollten alle Menschen, fand der kleine Junge. Der alte Mann sprach ihn an diesem Tag aber besonders an, er sagte: „Weißt du eigentlich, Junge, dass ich deinen Vater kenne?“
    „Ehrlich?“ fragte der kleine Junge mit solch staunendem Gesicht, dass der alte Mann lachte, es klang nach Rost und Rauch.
    „Ja, na klar kenne ich ihn, von damals, als er noch hier stationiert war, da hinten, in den amerikanischen Kasernen. Wir waren manchmal einen Trinken und haben zusammen Karten gespielt. Wir waren schon zwei gute Kumpels, dein Vater und ich.“
    „Und wie war er so?“ fragte der Junge, der sich immer gefragt hatte, wie sein Vater so war, den er nur von einem Foto kannte, das ihn mit kurz geschorenen Haaren und als jungen Mann zeigte, in Uniform, und Flugzeugen im Hintergrund.
    „Komm' doch mal bei mir vorbei, mein Junge, dann erzähl ich dir alles Mögliche.“
    „Wo wohnst du denn?“
    „Gleich da drüben, die vierzehn. Willst du schon heute mitkommen, Kleiner?
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