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Blanks Zufall: Roman

Blanks Zufall: Roman

Titel: Blanks Zufall: Roman
Autoren: Christian Sidjani
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ganzes Jahr, in dem Marcus so tat (auf Anraten von Veronika), als würde er das Leben leben, dass er schon vor dem Unfall gelebt hatte, das ganz normale Leben eines Zwölfjährigen, der zur Schule ging und Freunde traf. Erst machte sie ihn glauben, dass alle anderen um ihn nicht wussten, dass sie tot waren, dann führte sie vor, dass niemand es wusste, weil es gar nicht so war.
    Im Nachhinein schämt sich Marcus, dass er jemals gedacht hatte, er sei im Totenreich gewandert, aber auch wenn es niemals der Realität entsprochen hatte, so verlor er doch ein ganzes Jahr, dass er für sich real in einer anderen Wirklichkeit als die aller verbracht hatte.
    Während der Zeit begann Marcus trotzdem zu zaubern, jetzt erst recht (er hoffte auf echte übersinnliche Fähigkeiten, schließlich war er ja tot), aber aus dem großen Blank wurde einfach Blank und der Marcus verschwand hinter Erinnerungen, die er vergessen wollte.
    Claudia war bei dem Unfall gar nichts passiert. Sie war mit dem Schock davon gekommen, beinahe ihr Kind verloren zu haben. Aber dieser Moment brachte ihr keinen Wendepunkt, ihre Liebe zu Marcus war dafür zu endgültig.
    Nur so kann er sich heute erklären, woher ihre Stärke gekommen war, mit einem Sohn zu leben, der sich und seine Mutter für tot hielt.
     
    SO LANGE WIE Marcus brauchte, real von unwirklich wieder zu trennen, so lange war er auch nicht in der Lage die zwei Damon Blacks zu unterscheiden, den Mentalisten aus dem Fernsehen vom Mephisto seines Koma-Traums.
    Bis Marcus dreizehn Jahre alt war, schienen sie als dieselbe Person und noch heute nagt an ihm beizeiten die verdrängte Erinnerung, indem sie aus seinen Tiefen empor kriecht, wenn er eine Sendung von Damon Black schaut (mittlerweile besitzt er sämtliche, erhältliche DVDs des Mentalisten und verfolgt über das Internet neue Auftritte, sofern sie als Videos hochgeladen werden; eine Reise nach England war ihm bisher zu teuer, aber es bleibt einer seiner innigsten Wünsche, wenn nicht der innigste von allen, Damon Black auf der Bühne zu sehen; ganz sicher vertriebe diese Erfahrung die Reste seines Koma-Traums oder, wünscht Marcus sich manchmal, sie würde beweisen, dass Damon Black tatsächlich über übersinnliche Kräfte verfügt). Aber der Wahnsinn von damals ist nurmehr ein unangenehmes Gefühl, das ihn schaudern lässt.
    Die Faszination für Hypnose und Beeinflussung, besonders aber das Erlernen und Proben von einfachen bis komplizierten Kartentricks vereinnahmte Marcus und er brauchte ein Publikum. Noch im Krankenhaus übte er an den Schwestern und seinem Zimmernachbarn Timmi, der ebenfalls einen Autounfall erlebte und sich nun von Knochenbrüchen erholte, und den er nach dieser Zeit nie wieder sah.
    Marcus' Mutter besorgte ihm das Deck und das Buch und erfüllte damit das, was der Unfall bisher verhindert hatte. Als es Marcus (körperlich) besser ging und er entlassen wurde, probte er an seinen Freunden, von denen nur Frank ihn im Krankenhaus besucht hatte; Karsten und Henning ließen ihn grüßen, aber trauten sich nicht vorbei zu kommen, oder waren nicht die Freunde, die Marcus glaubte, dass sie es waren.
    Marcus zauberte auf dem Schulhof, er zauberte bei den Eltern seiner Freunde, er zauberte für seine ersten Freundinnen und bei einem Auftritt in der Schulaula zum ersten Mal auch vor Fremden. Jeder sagte, dass Marcus zauberte und er ließ es bleiben, ihnen zu sagen, dass er das Wort nicht mochte.
    „Wie willst du es denn sonst nennen?“, fragte ihn Jasmin, die in seine Klasse ging und mit der er seine ersten Küsse und intimen Berührungen tauschte.
    „Ich lese Gedanken“, antwortete er.
    „Das ist doch eine Lüge“, sagte sie, „Aber wenn du sagst, dass du zauberst, sagst du die Wahrheit.“
    „Klar sage ich dann die Wahrheit. Aber die Wahrheit ist doch langweilig. Außerdem versucht doch jeder darauf zu achten, wie der Trick funktioniert. Wenn ich ihnen aber gleich sage, dass ich echte, übersinnliche Kräfte habe, dann lachen sie mich erst aus und sind verblüfft, wenn ich dann die richtigen Karten errate.“ 
    „Also musst du so gut sein, dass sie glauben, du hättest übersinnliche Kräfte, obwohl du selber sagst, dass du keine hast.“
    „Ja“, antwortete er verblüfft, denn genau das tat Damon Black. Und Marcus hielt sich nicht für so gut.
    Viel später, nach einer Zeit, die aus jedem Kind und Heranwachsenden ein erfahreneres Individuum formt, jedoch nicht unbedingt erwachsen werden lässt, probierte Marcus
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