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Blackout (German Edition)

Blackout (German Edition)

Titel: Blackout (German Edition)
Autoren: Alice Gabathuler
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stolz er damals gewesen war und dass er es fast ein bisschen bedauert hatte, als der Gips abgenommen wurde. Diesmal war es anders. Es gab keine Freunde mehr, die ihn besuchten, der Gips an seinem Arm war grau, nicht weiß, und niemand hatte etwas daraufgeschrieben, nicht einmal er. Die einzigen Menschen, die Nick nach dem Unfall zu Gesicht bekommen hatte, waren Polizeibeamte und Frau Sulser vom Jugendamt, eine schrecklich nervöse Frau, die versuchte, es allen recht zu machen.
    Nachdem er ausgiebig geduscht hatte, musterte er sich im Spiegel.
    Lass dich darauf ein. Versuch ein Mal in deinem Leben, keine Scheiße zu bauen.
    Er holte tief Luft und lief die Treppe hinunter. Susanna wartete bereits auf ihn.
    Sie führte einen Buchladen nicht weit vom Zentrum. Staunend betrachtete Nick die unzähligen Bücher, die sich auf Gestellen und Tischen stapelten. Wie konnte sich hier jemand zurechtfinden?
    »Du fragst dich bestimmt, wie ich in diesem Chaos klarkomme, nicht wahr?«, fragte Susanna.
    Er musste lachen. »Ja«, sagte er. »Kannst du Gedanken lesen?«
    »Nein, das nicht, aber Gesichtsausdrücke.«
    Nun lachten sie beide.
    »Ich habe einfach zu wenig Platz«, seufzte Susanna. »Aber vielleicht hast du eine Idee, wie wir das besser hinkriegen.«
    »Keine Sorge, darin bin ich Spezialist«, antwortete er. Sie schaute ihn fragend an, aber er ließ es dabei bewenden. Vielleicht würde er ihr später von den dämlichen Internaten erzählen, in denen auf spartanisch gemacht wurde. Wo die Zimmer kleiner waren als Besenkammern. Aber die waren immer noch besser als rappelvolle Schlafsäle. Solche kannte er nämlich auch. Da wurde man Weltmeister darin, seinen Krempel auf kleinstem Raum unterzubringen.
    »Na ja, ich bin ziemlich gut im Zusammenstopfen«, erklärte er.
    »Ich hatte eigentlich nicht an stopfen gedacht«, antwortete sie, »stopfen kann ich auch, wie du siehst. Hat der Spezialist keine professionellere Idee?«
    Die Ladenglocke klingelte. »Kannst du dir etwas überlegen?«, fragte Susanna und begrüßte dann die erste Kundin des Tages.
    Während sich Susanna angeregt mit der Frau unterhielt,schlenderte Nick durch ihren Laden. In einer Ecke entdeckte er zwei Kisten mit Comics. Er griff sich einen und öffnete ihn. »Na, gefällt er dir?«, fragte ihn die Frau. Sie lächelte ihn an. Nick fühlte sich ertappt. Schnell schloss er das Heft.
    »Wie sieht’s aus?«, fragte Susanna gegen Mittag. »Hunger? Finn und Carla kommen heute nicht nach Hause. Komm, ich lade dich ein.«
    »Dein Laden gefällt mir«, sagte Nick, als sie in Susannas Lieblingsrestaurant saßen.
    »Ich mag ihn auch«, antwortete Susanna, »obwohl er mir manchmal den letzten Nerv raubt.«
    Sie seufzte, dann schwiegen sie.
    »Warum ist meine Mutter so anders als du?« Den ganzen Morgen hatte Nick immer wieder zu Susanna hinübergesehen und sich gefragt, ob sie wirklich die Schwester seiner Mutter war. Das kann nicht sein, hatte er gedacht. Susanna, so zufrieden, warm, geduldig. Und seine Mutter? Vergiss es. Aber statt es zu vergessen, hatte sich die Frage selbstständig gemacht und jetzt lag sie da, zwischen ihnen, bleischwer.
    »Na ja, sie hat es nicht leicht«, begann Susanna.
    »Nein, nicht diese Antwort. Die kenne ich schon!«
    Susanna griff nach ihrem Glas. »Du willst es wirklich wissen, nicht wahr?«
    »Ja.«
    »Sie war immer anders«, sagte sie. »Schon als kleines Mädchen hatte sie das Gefühl, ich würde ihr vorgezogen. Sie hatte Pech und ich hatte Glück. So sah sie das. Ich war das gute Mädchen und sie das böse.«
    »Und? War es so?«, fragte Nick.
    Susanna schüttelte den Kopf. »Nein. Aber sie legte es wirklich darauf an, es sich und uns so schwer wie möglich zu machen.«
    Genau wie ich, dachte Nick. »Einmal schlecht, immer schlecht, nicht wahr?« Seine Stimme brach und er presste die Lippen zusammen.
    »Das sagt doch niemand. Ich glaube, deine Mutter mag sich selbst nicht. Und darum denkt sie, dass auch niemand sie mag. Weiß der Himmel warum. Nur einmal, als sie deinen Vater kennenlernte, war das anders. Doch dann ist vieles nicht so gekommen, wie sie sich das wohl gewünscht hat. Das ist nicht deine Schuld.«
    Warum sieht sie mich dann immer so an, als sei ich der Grund, warum in ihrem Leben alles schiefläuft?, fragte sich Nick. Plötzlich hatte er das Gefühl, keine Sekunde mehr hier sitzen zu können. Schnell stand er auf.
    »Entschuldige«, sagte er tonlos, »ich habe keinen Hunger mehr.« Ohne Erklärung verließ er das
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