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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds
Autoren: Chuck Wendig
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hier im Stau fest.
    Sie braucht ein Zeichen.
    »Ich brauche ein Zeichen!«, sagt sie laut. Sie ist panisch.
    »Hier kommt eins«, sagt Louis vom Rücksitz her. Er zieht sich das Isoband ab und enthüllt nicht wie üblich eine leere Augenhöhle, sondern ein ruiniertes Auge, das wie eine Weintraube aussieht, die man mit dem Daumen zerquetscht hat. Um die Wirkung zu verstärken, winkt er.
    Dann ist er weg.
    Miriam sieht sich verzweifelt um, um zu erkennen, was er eigentlich meint.
    Die säuerliche Lady mit Sonnenbrand? Nein.
    Die Ladung Hunde und kreischende Kinder vor ihr? Wahrscheinlich nicht.
    Ein kleines Flugzeug fliegt über sie hinweg. Aber da sie nicht wie Batman einen Karabinerhaken am Gürtel hat, ist sie sicher, dass der Plan, der ihr bei dem Anblick durch den Kopf geht, von Anfang an zum Scheitern verurteilt ist.
    Dann sieht sie es.
    Ein Radfahrer – nein, ein Rennfahrer.
    Er ist schlank und sehnig, wie ein Profi von oben bis unten in rotblauen Elastan gezwängt als wär er der Superman der Radfahrer-Gemeinde.
    Als er an der Seite der Dammstraße an ihr vorbeiflitzt, reißt Miriam die Beifahrertür auf.
    Sein Vorderrad trifft auf unnachgiebigen Widerstand.
    Der Radfahrer fliegt über die offene Tür. Sie hört, sieht aber nicht, dass sein Kopf auf den Asphalt trifft. Wenigstens trägt er einen Helm.
    Miriam ist schon aus dem Auto und auf dem Rad, bevor sie weiterüberlegen kann. Das Vorderrad ist leicht eingedellt, da, wo es die Beifahrertür getroffen hat, aber selbst so eiernd bedeutet es immerhin Bewegung.
    Sie sieht auf das Handy.
    Sie hat weniger als eine Stunde.
    »Mein Rad!«, schreit der Radfahrer.
    Miriam fährt unsicher an ihm vorbei.
NEUNUNDDREISSIG
    Frankie
    Der Barnegat-Leuchtturm – Old Barney – erhebt sich vor ihr.
    Der gewundene Pfad im Sand ist von einem wackligen Weidezaun eingefasst, dieser wiederum wird von schwarzen Sträuchern mit gelben Blüten gesäumt.
    Möwen kreischen und klagen über ihr, wo schwarze Wolkengirlanden aussehen wie entfernte Krähenschwärme.
    Die Wellen rollen an den Strand und wieder aufs Meer hinaus, ein ständiges Hintergrundmurmeln. Miriam klettert über das gelbe Absperrband, das die Leute davon abhalten soll, das Gelände zu betreten. Sie geht am Schild vorbei, das »Betreten der Baustelle verboten« verkündet, und auch an dem, das erklärt, dass der Leuchtturm Heimat eines neuen Scheinwerfers und hochmoderner Polykarbonatfenster werden soll.
    Es fühlt sich an, als säße sie auf der Achterbahn – sie steigt auf einen Hügel, auch wenn da gar kein Hügel ist. Ihr Magen ist ein Haufen sich windender Aale. Er dehnt sich aus und zieht sich zusammen. Sinkt und schwimmt dann wieder.
    Ihre Füße trommeln auf den Sand, der sich unter ihr bewegt. Sie holt tief Luft und zieht sich die Schuhe aus. Das Gefühl des Unausweichlichen läuft vor ihr her, rennt voran wie ein eifriger Hund. Sie fühlt sich, als wäre sie ein kleines Mädchen, das zu einer Mutter geht, die mit dem Ledergürtel in der Hand auf sie wartet.
    Sie geht weiter.
    Es fühlt sich an, als komme nicht sie dem Leuchtturm näher, sondern er ihr.
    Du kannst nichts ändern . Ihre eigene Stimme, nicht die von Louis, säuselt in ihrem Kopf. Vergiss das nicht. Du bist nicht hier, um etwas zu ändern. Du bist nur hier, um Zeugin sein zu können. Das ist es, was du tust. Das ist, was du bist. Du bist die Krähe des Krieges auf dem Schlachtfeld. Der Todesengel.
    Sie erreicht das Ende der Hecken. Der sandige Pfad geht weiter bis zum Leuchtturm, der unten weiß ist und an der Spitze aus roten Ziegeln.
    Frankie lungert draußen herum. Er ist wie ein Schluck schwarzes Motoröl auf einem sauberen Strand, eine dunkle Silhouette auf einem erleuchteten Röntgenbild, ein langer schwarzer Schatten, der zum Himmel darüber passt. Er läuft hin und her. Reibt sich die Nase. Kratzt sich am Ohr.
    Glatze, der Mann, den Harriet Ingersoll nannte, ist nirgends zu sehen.
    Es ist jetzt fast so weit. Miriam muss gar nicht mehr aufs Handy sehen, um das zu wissen.
    Aber sie holt es trotzdem hervor. Die Pistole hat sie in der anderen Hand, das Tagebuch ist sicher in der Tasche ihrer Jeans verstaut. Sie drückt die Wahlwiederholungstaste auf dem Handy.
    Dann geht sie weiter.
    Frankies Handy klingelt. Das sollte es auch. Sie ruft es ja an.
    Er geht ran, und sie hört ihn in Stereo – seine Stimme im Handy und seine Stimme weiter vorn: »Harriet?«
    Miriam schleudert das Handy in seine Richtung wie einen verdammten Bumerang. Es
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