Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds
Autoren: Chuck Wendig
Vom Netzwerk:
Wand, eine Sackgasse – und prallt wieder und wieder dagegen, wie eine Biene gegen eine Fensterscheibe. Vielleicht ist es der Schmerz, der ihre Gehirnfunktionen bremst. Vielleicht sind es auch Schock und Trauma, die da zusammen fröhlich Tandem fahren und ihre Denkprozesse so runterziehen.
    Sie sieht sich nach einem Hinweis um. Wenn das Schicksal will, dass sie da aufkreuzt, dann wird es ihr auch eine Mitfahrgelegenheit besorgen müssen.
    Das Handy in ihrer Hand klingelt.
    Es vibriert auch, und es erschreckt sie so schlimm, dass sie es beinahe in den Wald wirft wie eine Handgranate.
    Glücklicherweise unterdrückt sie diesen Impuls. Sie sieht auf das Display.
    Frankie.
    Ihr Herz macht einen Sprung.
    Sie nimmt das Gespräch an.
    »Was?«, fragt sie und versucht dabei, Harriets matte Stimme nachzuahmen. Ihr wunder Hals und ihre geschwollenen Lippen scheinen dabei zu helfen.
    »Was ist mit dem Mädchen?«, will er wissen. Das Signal ist schwach, aber sie kann ihn noch hören.
    »Keine Probleme«, erwidert Miriam. Sie führt das ein wenig aus: »Dieser Cocktail hat’s ihr echt gegeben.«
    Frankie macht eine Pause.
    Scheiße! Blöde Kuh. Keine Erklärungen. Harriet würde auch nichts erklären.
    »Alles in Ordnung?«, fragt er misstrauisch.
    »Alles klar.«
    »Du klingst anders.«
    »Ich sagte doch, alles klar.«
    Wieder eine Pause. »Du klingst, als wolltest du diesem Mädchen was antun. Sie vielleicht verletzen.«
    »Was geht’s dich an?«
    »Okay! Okay, meine Güte, jetzt flipp nicht aus.«
    Miriam verzieht das Gesicht und beschließt, dass das ihre einzige Chance ist.
    »Wo bist du?«
    »Wir haben den Trucker. Ich hatte vergessen, dass er ganz schön groß ist. Ich brauchte zwei von diesen Cocktails, um ihn umzuhauen, aber es hat geklappt. Ingersoll hat ihn in den Escalade geladen, und ich werde den Truck nehmen und verbrennen.«
    »Wo bringt ihr ihn hin?«
    »Ingersoll hat sich in den Kopf gesetzt, dass es irgendwas Hohes, Langes sein muss. Er sagt, dass ein Sturm aufzieht under dessen Kraft nutzen will und um – wie sagte er gleich? – ›den Himmel zu lesen‹. Wir haben eine Verbindung zu einem Leuchtturm, der umgebaut wird. Ich glaube, die bauen da irgendein großes Licht ein oder was auch immer man da neu in einen Leuchtturm einbaut.«
    »Wo ist der Leuchtturm?«
    »Warum?«
    Scheiße! Weiß ich doch nicht, warum!
    Sie presst die Augen zusammen und versucht es. »Ich bin dir keine Rechenschaft schuldig.«
    »Tut mir leid«, erwidert er. »Ähhhh, Barnegat, glaube ich. Long Beach Island. Wo auch immer das ist, es riecht nach toten Fischen und medizinischem Abfall.«
    »Ich muss Schluss machen. Das Mädchen wacht auf.«
    »Gib ihr ’nen Kuss von mir.«
    »Werd’ nicht frech.«
    Miriam legt auf.
    Sie hält das Handy in der Hand. Der Schmerz in ihrem Körper ist immer noch da – er trommelt auf ihr herum wie auf einem Schlagzeug –, aber es kümmert sie nicht mehr. Miriam fühlt sich lebendig. Sie ist in diesem Moment ganz da. In weiter Ferne hört sie Donner wie das Räuspern einer verschleimten Kehle.
    Miriam holt tief Luft, dann geht sie mit großen Schritten die Zufahrt entlang.
    Sie kommt etwa drei Meter weit, dann dreht sie um.
    Sie bleibt etwa dreißig Sekunden im Haus.
    Als sie wieder herauskommt, hat sie die Pistole in der einen, ihr Tagebuch in der anderen Hand und das Handy sicher in der Tasche.
    Sie geht los.
SECHSUNDDREISSIG
    Die erste Stunde
    Miriam fühlt sich, als sei sie schon seit Stunden gelaufen. Sie sieht immer wieder aufs Handydisplay und hat jedes Mal das Gefühl, es sind nur fünf Minuten, manchmal weniger vergangen.
    Der Kiesweg – »Weg« ist die optimistischste Bezeichnung für diese Strecke von Schlaglöchern voller Kalksteinschutt – ist ein gerades Band durch verkrüppelte Kiefern und schwindsüchtiges Gebüsch, ein Band, das sich scheinbar endlos erstreckt. Der Adrenalinschub ist abgeebbt, ihre Muskeln werden mit jedem Schritt steifer, und eine leise Stimme in ihrem Kopf fragt: Bin ich in Wirklichkeit gestorben? Vielleicht ist es die Totenstarre, die da einsetzt.
    Die Bäume sind über der Straße zusammengewachsen, ein Dach wie aus Skeletthänden. Spatzen und Stare flattern von Ast zu Ast. Ständig rollt Donner in der Ferne.
    »Braves Mädchen«, sagt Louis. Er geht neben ihr her. »Ich wusste, dass du es schaffst. Ein trotziger Geist. Diesmal nimmst du das Schicksal an. Du weißt, dass du dabei bist, wenn Louis stirbt. Also zwingst du dich vorwärts. Ich mag dein
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher