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Blackbirds

Blackbirds

Titel: Blackbirds
Autoren: Chuck Wendig
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sie so auf den kalten, blutigen Bodenfliesen lag. Mit kleinen Schubsern, Schubsern, die viel zu anstrengend waren, hatte sie die Waffe so gedreht, dass sie direkt unter ihr Kinn gerichtet war.
    Sie spannte den Hahn so, dass es kinderleicht sein würde, den Abzug durchzuziehen, nur ein kleines Zucken, kaum der Hauch einer Bewegung. Um sicherzugehen, hat sie das Kinn auf den Lauf gedrückt.
    Aber dann sah sie ...
    Zwei Schatten unter der Badezimmertür.
    Zwei Schatten, die zwei Beine bedeuteten. Harriets Beine.
    Die lauscht an der Tür , dachte Miriam.
    Und das machte sie stinksauer.
    Das war ihr Augenblick. Ihr Tod. Harriet hat ihrem Tod eine poetische Fassade gegeben, ja, aber jetzt steht diese blöde Schlampe auf der anderen Türseite und gackert herum, als habe sie Miriam die Schnürsenkel zugebunden, als sie schlief?
    Sie hob die Waffe. Es fühlte sich an, als rissen ihre Muskeln von den Gelenken im Arm ab und würden gegen den zerborstenen Spiegel an der Wand geschleudert.
    Sie hat nicht gezielt und auch nicht versucht, sich vorzustellen, wo Harriet genau stand. Alles lief automatisch ab. Nichts weiter als ein Reflex.
    Sie drückte ab, peng .
    Ein paar Sekunden später war ein gemurmeltes Wort zu hören (Teppichnudel) , dann ein Aufprall.
    Miriam steigt über die Leiche. Sie braucht eine Weile bis dorthin, denn ihr Körper fühlt sich an wie durchgewalkte Scheiße. Sie sieht sich selbst im Spiegel, bevor sie das Badezimmer verlässt – ihr Gesicht sieht aus wie ein graurotblauer Kissenbezug, den man mit Tennisbällen ausgestopft hat, und ihre ohnehin blasse Haut bildet einen furchtbaren Kontrast zu denunzähligen Bahnen getrockneten Bluts. Sie sieht aus wie der Tatort eines Mords.
    Aber sie lebt, und sie denkt, als sie vor Harriets Leiche steht.
    Die plumpe Frau liegt mit offenem Mund da, ihr Blut und ihr Hirn fließen auf den Teppich und saugen sich darin regelrecht fest.
    Miriam sieht auf die Handschuhe an Harriets Händen hinab.
    »Schätze, jetzt wissen wir wenigstens, wie du stirbst«, sagt sie. Es klingt, als habe sie den Mund voller Steine und Sirup. Sie versucht zu lachen, aber es tut zu weh. Sie hustet. Sie hat Angst, dass sie ihre Rippen die Atemröhre hochwürgen muss oder sie durch ihren Hintern rausgequetscht werden. Jeder Quadratzentimeter ihres Körpers pocht vor Schmerz.
    Sie stupst Harriet an und erwartet beinahe, dass der kleine Napoleon sich aufrichtet und sie in die Achillessehne beißt, aber der Frau wird keine wundersame Auferstehung zuteil.
    Also dann: Louis.
    Miriam glaubt nicht wirklich, dass sie ihn retten kann. Aber sie weiß, dass sie dabei ist, wenn es passiert. Die Vision hat es ihr gezeigt.
    Die Frage ist nur: Wo?
    Nein. Halt. Die erste Frage ist: Wann?
    Miriam beugt sich vor – au, au, au  – und findet Harriets Handy in der Tasche der schwarzen Hose der Toten.
    16.30 Uhr.
    Louis stirbt in drei Stunden.
    Mit dem Handy in der Hand stolpert Miriam durch eine schimmelige Küche im Siebziger-Jahre-Design und aus einer Tür mit Fliegengitter, die schief in den Angeln hängt, ins Freie. Draußen hängt ein grauer Himmel über endlosen Wäldern aus verkrüppelten und mageren Kiefern, jede mit schwarzen Nadeln, jede ein Weihnachtsbaum, der Charlie Brown gehören könnte.
    Eine kiesbestreute Auffahrt umgibt das wacklige Häuschen und schlägt eine Schneise durch die Kiefern.
    In der Nähe, auf einer Zaunlatte ohne Zaun, sitzt eine fette Krähe und starrt sie an.
    »Ich weiß nicht, wo ich bin«, sagt sie dem Vogel. Die Krähe putzt sich den fettig glänzenden Flügel. »Danke für die Hilfe.«
    Na schön , denkt sie. Die Pine Barrens, New Jerseys Kiefernwälder. Wie groß sind die? Nichts weiter als ’ne Million Hektar struppige Kiefernwälder und sandiger Heide. Und Louis stirbt in einem Leuchtturm. In New Jersey gibt es ja nicht gerade viele davon   – ohhh, vielleicht zwei Dutzend. Ich bin sicher, ich kann die alle innerhalb der nächsten drei Stunden absuchen, direkt, nachdem ich schnurstracks wieder in die Zivilisation gelangt bin. Und die ist bestimmt um die Ecke, und wenn ich das sage, dann meine ich: kilometerweit entfernt.
    Die Aufgabe ist unmöglich zu schaffen.
    Das kann nicht unmöglich sein , überlegt sie. Ich bin ja dort. Irgendwie schaffe ich es, dort aufzutauchen. Was das Schicksal will, kriegt es auch, und das Schicksal will, dass ich meinen Arsch in diesen Leuchtturm bewege. Also denk nach.
    Aber sie kann nicht nachdenken. Ihr Gehirn trifft auf eine stumpfe
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