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Bitterfotze

Bitterfotze

Titel: Bitterfotze
Autoren: Maria Sveland
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schluchze und weiß nicht recht, wie ich all die Gefühle erklären soll, die plötzlich in mir hochkommen. All die Trauer. Vielleicht höre ich mich deshalb plötzlich etwas Unfassbares sagen.
    »Johnny hat mich geschlagen!«, sage ich und weine noch mehr aus purem Schrecken darüber, wie ungeniert ich lüge. Ich weiß nicht, warum ich es sage und wieso ich mich traue, aber es ist überhaupt so ein merkwürdiger Tag, voller Wehmut.
    »Er hat dich geschlagen?«, fragt mein Vater empört und nimmt mich in den Arm.
    »Der soll sich unterstehen, kleine Mädchen zu schlagen!« Zu meinem Entsetzen sehe ich, wie er aufsteht, sich anzieht, um hinauszugehen.
    Ich höre, wie er vor sich hinmurmelt, während er sich die Schuhe zubindet.
    »Diesen Johnny werde ich mir vorknöpfen!«
    Ich bleibe noch eine Weile in der Küche stehen, dann laufe ich in mein Zimmer und verstecke mich im Schrank. Ich zittere vor Erregung, dem wunderbaren Gefühl, dass mein Vater losgegangen ist, um mich zu verteidigen. Ich zittere vor Scham, denn die Lüge wird bald aufgedeckt werden. Ich weine ein paar Tränen aus Angst vor Vaters Zorn und Johnnys Verachtung, wenn er von der ungerechten Anschuldigung erfährt. Nach einer Weile höre ich, wie die Haustür geöffnet wird und mein Vater dröhnend meinen Namen ruft. Ich bleibe im Schrank und antworte nicht. Ich höre Schritte auf der Treppe, Vater nähert sich meinem Zimmer, und plötzlich höre ich sein schweres Atmen im ganzen Zimmer.
    »Sara! Wo bist du, verdammt!« Er klingt genauso wütend, wie ich befürchtet habe, eine ewige Sekunde lang sitze ich mucksmäuschenstill, ohne zu atmen. Schließlich verlässt er das Zimmer und geht wieder die Treppe hinunter. Ich bleibe noch ganz lange im Schrank sitzen, und obwohl ich pinkeln muss und mir der ganze Bauch wehtut, denke ich, das war es wert. Ein geringer Preis, um die Fürsorge und den Schutz meines Vaters zu genießen.
    Nachts wache ich auf und versuche zu spüren, ob mein Herz noch schlägt. Ich wache oft nachts auf und glaube, sterben zu müssen, weil mein Herz unregelmäßig schlägt.
    Als ich klein bin, ist mein Vater der Einzige, der mitten in der Nacht wach ist. Oft sitzt er mit einem Drink auf dem Ledersofa und hört Musik.
    »Papa ist ein Nachtmensch«, sagen meine Schwester und ich dann.
    Ich gehe immer hinunter zu ihm, wenn ich aufwache, und sitze eine Weile auf seinem Schoß. Er horcht auf meinen Herzschlag und sagt, es sei nichts Gefährliches. Das beruhigt mich, und dann kann ich wieder nach oben gehen und weiterschlafen.
    An einem Abend höre ich, als ich auf dem Weg nach unten bin, dass er weint. Ich sehe ihn am Küchentisch sitzen, über eine Schüssel Popcorn gebeugt.
    Seine Tränen fallen ins Popcorn.
    Ich bekomme solche Angst, dass ich mein Herz vergesse.

[Menü]  
    BALD DA
    Das Flugangstmädchen ist wieder aufgewacht und bestellt bei der netten Stewardessmama zwei doppelte Whisky.
    »Findest du mich sehr schrecklich?«, fragt sie mit Scham im Blick.
    »Überhaupt nicht! Ich finde es prima, dass du was trinkst. Das würde ich auch tun, wenn ich Flugangst hätte. Übrigens, ich glaube, ich trinke auch was, obwohl ich keine Flugangst habe. Oder weil ich keine Flugangst habe!«, sage ich fröhlich.
    Der Freund schaut säuerlich zu uns herüber, als wir anstoßen. Er liest mit strengem Blick die Wirtschaftszeitung. Ökonomie, die Religion unserer Tage. Ich bekomme Lust, ihn zu ärgern, ich proste dem Flugangstmädchen wieder ein wenig zu laut zu, sie tut mir irgendwie gut. Oder irgendwie leid?
    Doch, er sieht wirklich aus wie ein Pastor, der die Bibel studiert, mit seinem schwarzen Sakko über dem weißen Hemd. Die Stewardessmama lächelt uns verständnisvoll zu. Ich bin überzeugt, sie findet es gut, dass wir trinken. Der Whisky wärmt den Bauch und macht mich froh. Ich höre Nina Simone, immer Nina Simone, meine Retterin in der Not. Sie und die Badewanne. Und Isadora.
    Meine Isadora mit Angst vorm Fliegen sitzt immer noch im Flugzeug auf dem Weg nach Wien. Sie schaut sich um und stellt fest, dass sie einige Analytiker kennt. Sie hat im Lauf der Jahre bei so manchem von ihnen viele Stunden zugebracht. Isadora und Bennett sind schon so lange in Analyse, dass sie fast keine Entscheidung treffen, ohne sich vom Analytiker auf einer Wolke über ihnen einen eingebildeten Ratschlag zu holen.
Es war nun so weit. Wir waren in jene kritische Phase eingetreten (fünf Jahre Ehe – die Bettlaken, die man als Hochzeitsgeschenk bekommen hat,
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