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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut
Autoren: Willi Voss
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Lorinser an eine Festung denken. Kleine, gardinenlose Fenster, die seltsamerweise mit einem Netzwerk aus Weidedraht gesichert waren. Regellos auf dem Gelände verteilt, schwarzstämmige Espen mit moosbewachsener Rinde. Auf der Mauer ein zusätzlicher Zaun aus Maschendraht, dessen oberes Drittel mit Stacheldraht durchzogen war und wie der Verhau eines Schützengrabens aus den verkratzten Filmdokumenten des Ersten Weltkriegs wirkte.
    Vor dem schmiedeeisernen Tor bremste Lorinser ab, stieg aus und warf einen Blick in den mit Backsteinen ausgelegten Hof. Nirgendwo ein Hinweis auf den oder die Bewohner des Hauses. Ein angeschlagenes Emailleschild: »Betteln und Hausieren verboten!« Darunter im Mauerwerk der Torsäule eine mit Grünspan überzogene und wohl selten benutzte Klingel. Lorinser legte den Daumen darauf. Entfernt das schrille Kichern einer Glocke, das jedoch Minuten lang keine Wirkung zeitigte. Er versuchte es wieder, länger, ausdauernder. Oberhalb der Treppe wurde ein Fenster aufgestoßen. Der kahle Vogelkopf eines misstrauisch aus dicken Brillengläsern äugenden Mannes schob sich kampflustig ins Freie.
    »Haben Sie Klodeckel auf den Augen?!«
    Die Stimme war kräftig und artikulierte klar. Schmale, knochige Hände umklammerten den Fensterrahmen.
    »Nein, eher nicht. Ich will auch nicht betteln oder etwas verkaufen. Ich bin von der Polizei und möchte Thorsten Böse sprechen.«
    »Den Thorsten? Was hat die Polizei mit Thorsten zu tun?«
    »Ist er zu Hause?«
    Der Alte drehte sich um und sprach einige Worte, die Lorinser nicht verstand. Sekunden später tauchte neben ihm der Kopf eines Rottweilers auf. Große, dunkle Augen, ein mit scharfen Zähnen bewehrtes Maul, aus dem Speichel tropfte.
    »Nein, ist er nicht. Was wollen Sie?«
    »Wann war er zuletzt hier?«
    Eine Unmutsfalte wuchs auf der Stirn des Mannes im Fenster, der vermutlich Wolfhardt Böse war. Die dünnen Lippen verzogen sich in der gleichen Sekunde, als der Rottweiler ein unterdrücktes Knurren hören ließ. Böse legte ihm die linke Hand zwischen die Ohren. Der Hund beruhigte sich. Abrupt schloss der Alte das Fenster.
    Auch eine Antwort, dachte Lorinser und spürte Zorn in sich aufsteigen. Böse schien seinen Ruf verdient zu haben. Ein »Börger«, wie sich die alt eingesessenen Lemförder stolz nannten. Sie galten noch in Diepholz als selbstgefällig, verschlossen und abweisend. So viel hatte Lorinser bereits herausgefunden. Nicht nur, dass sie glaubten, vom lieben Gott bereits vor der Errichtung des Paradieses erschaffen worden zu sein: Gegen die Naturgewalten, das Amt und Zugereiste hielt man hier seit ewigen Zeiten die Reihen fest geschlossen.
    Lorinser presste den Finger erneut auf den Klingelknopf und bemerkte durch das Gittertor rechts vom Haus zwischen immergrünen Pflanzen einen grauen Volvo-Kombi. Auf den roten Steinen waren schlammige Reifenspuren zu sehen. Offensichtlich war das Fahrzeug vor nicht langer Zeit bewegt worden.
    Riegel polterten, ein Schlüssel drehte sich im Schloss, scharrend wurde die Haustür aufgedrückt. Der Alte erschien auf der Schwelle. Er war bedeutend kleiner, als Lorinser ihn eingeschätzt hatte, erschreckend mager, mit stark gebeugtem Rücken. Er warf dem Polizisten einen strafenden Blick zu und hakte den Rottweiler an die Kette, die links neben dem Eingang im Mauerwerk verankert war. Vortastend, als traute er seinen Gliedern nicht mehr, stieg er vorsichtig hinunter. Er trug eine dunkelbraune, an den Knien ausgebeulte Gabardinehose mit breiten Umschlägen und eine blassgrüne, zottelige Strickjacke, in deren Ausschnitt ein mit gelben Flecken übersätes, zerknittertes Leinenhemd nach der Lauge einer Waschmaschine schrie. Die nackten Füße steckten in hellgrünen Plastiklatschen. Vor dem Tor blieb er stehen. Das Horngestell der Brille war im Laufe der Zeit gelb geworden. Die graugrünlichenAugen zerliefen in den Schleifringen der Gläser. Gut Kirschen essen ist mit dem wohl wirklich nicht, vermutete Lorinser.
    »Was wollen Sie von Thorsten?«
    »Mich überzeugen, dass er hier ist. Sie sind sein Vater, nicht wahr?«
    Lorinser zeigte ihm den Dienstausweis. Böse blickte verächtlich darüber hinweg und demonstrierte mit der abwinkenden rechten Hand, die Lippen hart aufeinandergepresst, stumme Abwehr.
    »Ja, das bin ich. – Was hat der Kerl wieder angestellt?«
    Der Hund zerrte knurrend an der Kette. Lorinser umfasste die feuchten Gitterstäbe des Tores. Der Atem des Alten schlug ihm entgegen. Eine ätzende
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