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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut
Autoren: Willi Voss
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ihn. Wovor? Und weshalb? Warum dieses greifbare Misstrauen? Wieso, fragte Lorinser sich, habe ich jetzt das Gefühl, es mit einem Menschen zu tun zu haben, der nicht nur auf dem Sprung und in Verteidigungsstellung, sondern bis auf die Knochen verängstigt ist?
    »Vielleicht sollten Sie mir doch einen Hinweis geben, Herr Böse.«
    »Verschwinden Sie und tun Sie Ihre Pflicht!«
    So abrupt wie er das Fenster über der Treppe geschlossen hatte, drehte der Alte sich um und lief, als würde er verfolgt, den mageren Körper grotesk vor und zurück schwingend, seiner Festung entgegen.
    »Nur eine Frage noch!«, rief Lorinser hinter ihm her.
    Der Alte drehte sich um. »Sie wollen sich wirklich Ihr Gehalt verdienen, was?«
    »Ich wüsste gerne, in welcher Firma Ihr Sohn beschäftigt ist.«
    »Bei der Kreissparkasse. In Diepholz«, kam es nach kurzem Zögern mit allen Anzeichen größten Widerwillens zurück.
    Lorinser dankte und stieg in sein Auto.

2
    »Sehr seltsam«, murmelte Hauptkommissar Steinbrecher, auf dessen Stirn sich dicke Schweißperlen gesammelt hatten. Er stellte den Spurenkoffer auf die Ladefläche des Passat und schüttelte seufzend den Kopf. »Der Sportschuh ist getragen worden. Deutliche Spuren, die da beginnen, wo die Grasnarbe aufhört. Sie enden an der Esche, fast genau unter dem Strick. Verstehst du, wieso einer sich einen Schuh auszieht, wenn er …?«
    »Nein«, gestand Lorinser.
    »Er hat Blut verloren«, fuhr der Kollege fort. »Ich habe an einem der aufgeweichten Papiertaschentücher Spuren gefunden. Kann sein, dass er sich verletzt hat und …«
    »… oder schlicht ’nen dicken Schnupfen hatte.«
    »Ja, auch das, oder verletzt war.«
    Steinbrecher faltete die Hände, verschränkte sie vor dem Bauchansatz und blies, die sowieso schon hängenden Schultern noch mehr fallen lassend, die Backen auf. Unter den Kollegen kreiste der Spruch, er neige zur Resignation, sobald er sich mit Problemen konfrontiert sah. Sie führten das auf seine von einem wahren Drachen beherrschte Ehe zurück, die laut den kollegial verbreiteten Gerüchten einige Wochen vor Lorinsers Dienstantritt mit einem Eklat geschieden worden war. Seine Ex hatte ihn nach dem Urteil vor dem Amtsgericht im Beisein nahezu aller Prozessbeteiligten nicht nur geohrfeigt, sondern ihn kreischend einen »onanierenden Rohrkrepierer« genannt, nur deshalb Slipper tragend, weil er unfähig sei, sich die Schnürsenkel zu binden. Zu einem Waterloo für Steinbrecher wurde der Zwischenfall angeblich nicht wegen des ordinären Gekreisches der mit wehenden rostroten Haaren dreinschlagenden Dame, sondern weil der Kollege bar jeden Widerstands haltlos in Tränen ausgebrochen war und in wilder Flucht den Ehekriegsschauplatz verlassen hatte. Nicht, dass Lorinser ihn deshalb unsympathischfand. Aber zu denken gab ihm schon, dass es das üble Gerede gab.
    »Wie ist er hierhergekommen?«, fragte er nachdenklich. »Mit seinem Wagen? Gibt es Spuren?«
    »Nur von ’nem Trecker. Trotzdem kann hier irgendwo ein Auto gestanden haben. Die Sperre an der Zufahrt ist ja offen.«
    »Die hat erst unser Zeuge, hat Hollenberg aufgeschlossen.«
    »Kann ja auch zu Fuß hergekommen sein.«
    »Obwohl er ein Auto besitzt?«
    »Selbstmörder handeln selten logisch. Da staut sich lange was auf, ehe die Ernst machen. Es ist wie eine Explosion. Bang, ein Knall, aus. Ich weiß, wovon ich spreche.«
    Das glaube ich dir, dachte Lorinser. »Wie lange bist du schon bei der Polizei?«
    »Gut achtzehn Jahre. Warum fragst du?«
    »Weil hier schon mal einer gehangen haben soll. So um fünfundsiebzig herum. Der Bruder vom alten Böse.«
    »Weiß ich nichts von. Habe die ersten Jahre Innendienst gehabt. Keine operativen Sachen jedenfalls. Nee, da müsstest du mal die Kollegen in Lemförde befragen. Oder die vom Fachkommissariat 5 um die alten Akten bitten. – Glaubst du an einen Zusammenhang?«
    »Immerhin handelt es sich um die gleiche Familie.«
    »Ist aber verdammt lange her.«
    »Wo du recht hast, haste recht. Vielleicht hat es ja mit Tradition zu tun. Könnte für die Böses sozusagen der Stammplatz fürs kalkulierte Ableben sein.«
    »Habt ihr das neuerdings in den Lehrgängen?«
    »Den Gesamtzusammenhang erkennen, heißt das.«
    »Wenn-es-denn-der-Aufklärung-dient …«, sagte Steinbrecher so schleppend, als müsste er jedes Wort mühsam aus dem Fundus seines Sprachschatzes scharren.
    »Die Frage ist nicht nur, wie der Junge hierhergekommen ist. Ich frage mich, wie die Leiche, wenn
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