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Bitteres Blut

Bitteres Blut

Titel: Bitteres Blut
Autoren: Willi Voss
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auf.
    »Es ist nicht gerade üblich, ein Kind dieses Alters zu adoptieren.«
    Böse zog ein kariertes Taschentuch aus der an den Knien glänzenden Hose und schnäuzte sich dröhnend. Kurz blickte er auf den Auswurf, rieb sich den Nasenrücken und hob die Hände.
    »Wie Sie bemerkt haben werden, bin ich nicht mehr der Jüngste. Im November werde ich fünfundachtzig. Da denkt man anders über gewisse Dinge. Warum soll ich das alles« – sein Blick umfasste Haus und Land – »Händen überlassen, die gierig danach zucken? Einem Schweinehund, den ich über Jahrzehnte hinweg mit meinem Geld gemästet habe?«
    »Ihren Sohn meinen Sie ja wohl nicht, wenn Sie von Jahrzehnten sprechen?«
    Böses Lippen verbogen sich, die Mundwinkel zuckten. Es sah wie ein Lachen aus, war aber keines. Die Stimme war bitter. »Nein, den nicht. Den da!« Die ausgestreckte Hand, in der das Taschentuch wie ein Wimpel flatterte, deutete hinab zur Straße, hin zu einem rot gedeckten Flachbau, dessen blanke Scheiben sich in der Sonne spiegelten.
    »Ein Verwandter?«
    Der Alte schüttelte den Kopf.
    »Nein, kein Verwandter. Chemie-Kröger. Ein Scheusal und gewissenloser Betrüger. Wenn Thorsten tot ist, dann hat ganz sicher der Schweinehund damit zu tun, das sage ich Ihnen!«
    Er hat also doch Gefühle, stellte Lorinser fest, als er Böses heftig zitternde Hand bemerkte. Blanker Hass in den Augen. Der Hund auf der Treppe kläffte. Möglicherweise hatte er im Laufe der Zeit gelernt, die Stimmungen seines Herrn zu erwittern. Böse hob unwillig den Arm. Als treuer Festungssoldat kuschte der Rottweiler augenblicklich, wenn sich auch aus der bulligen Brust ein grollendes Knurren löste.
    »Mir scheint, Liebe ist das nicht gerade, die Sie für diesen Herrn empfinden«, sagte Lorinser und nickte dem roten Dach jenseits der Straße zu.
    »Keine Liebe, fürwahr!«, zischte der Alte und ballte in Richtung des Flachbaus drohend die rechte Hand.
    »Warum, glauben Sie, kann er mit der Geschichte zu tun haben?«
    Die schweren, wimpernlosen Lider senkten sich über die graugrünen Augen des Alten.
    »Sie sind Polizist, finden Sie es doch heraus!«
    »Es wäre einfacher, wenn Sie mir eine Erklärung böten.«
    »Nein.«
    Eine Absage wie der Klang eines Schusses. Aus überfüllter Seele mit einer gehörigen Portion Gift aus feuchter Kehle abgefeuert.
    »Ich kann Sie nicht zwingen …«
    »Obwohl Sie es gerne so hätten, nicht? Wie alt sind Sie?«
    »Zweiunddreißig. Warum fragen Sie?«
    Böse starrte Lorinser an, rieb die Hände gegeneinander und zählte leise vor sich hin.
    »Nun ja, Sie sind wohl zu jung, obwohl der Geist nicht auszurotten ist. Der Ungeist«, korrigierte er sich. »Sechsunddreißig haben die meinen alten Herrn und mich von unserem Besitz vertrieben, diese gestiefelten Barbaren. Wir haben alles stehen und liegen lassen müssen, das Land, das Haus, haben in Frankreich und später in Portugal vegetiert und darauf gewartet, dass der Spuk ein Ende nimmt. Fremde haben sich unser Land unter den Nagel gerissen. Aber«, fuhr er mit einer Handbewegung über das Dorf fort, »dann haben die gezittert, als wir wieder hier waren. Fünfundvierzig im August.« Er brach ab, kicherte unvermittelt schadenfroh, als durchlebte er seine wahrscheinlich triumphale Rückkehr in die Festung mitsamt der Angst seiner Widersacher noch einmal.
    »Die ehemaligen Nazis?«
    »Die gemeine Flut, ja.«
    »Die Zeiten sind vorbei, Herr Böse. Auch die polizeilichen Methoden haben sich geändert.«
    »Aber nicht die Menschen, junger Mann, die nicht!« Er schüttelte den Kopf, deutete wieder auf das Haus jenseits der Straße und wich einen guten Meter vom Tor zurück. »Ich sage Ihnen, die nicht! Die tragen jetzt nur andere Kleider!«
    Als wirkte die Nachricht vom möglichen Ableben seines Sohnes erst jetzt, schlug er die knöchernen Hände vors Gesichtund starrte zwischen den gespreizten Fingern hindurch auf einen Punkt, der nur das Haus mit dem roten Dach sein konnte. Der magere Körper schien zu schrumpfen. Es hatte den Anschein, als fürchtete er, geschlagen zu werden. Lorinser drehte sich um. Das Dach war noch immer rot. Die Sonne schien. Nirgendwo eine Veränderung. Lediglich ein Unimog, im Schlepp einen mit Heuballen beladenen Hänger, rollte über die Straße. Was hatte den Alten von jetzt auf gleich so verändert? Litt er unter einem Trauma, ausgelöst vom Anblick des Krögerschen Anwesens? Sicherlich war es nicht nur Altersstarrheit, die ihn gefangen hielt. Furcht peinigte
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