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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden
Autoren: Greg Iles
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Krankenschwester zu ihrem Zimmer rollen und bat darum, mit Margaret allein gelassen zu werden.
    Margaret lag komatös unter einem weißen Laken, angeschlossen an eine Vielzahl von Monitoren und Schläuchen. Das Insulin, das sie sich injiziert hatte, hatte ihr Gehirn in eine nutzlose graue Masse verwandelt. Von John Kaiser hatte ich erfahren, dass Margarets Mutter wahrscheinlich genehmigen würde, die Lebenserhaltungssysteme gegen Ende der Woche abzuschalten. Ich saß eine Weile schweigend neben Margaret und hielt ihre Hand, während ich an den Abschiedsbrief dachte, den sie hinterlassen hatte, und an das Entsetzen, das sie erfasst haben musste, als sie erfuhr, dass sie einen unschuldigen Mann dem Tod überantwortet hatte. Genau wie ich hatte sie nicht glauben können, dass ihr eigener Vater sie vergewaltigt hatte. Stattdessen hatte sie irrtümlich ihren Stiefvater als den Täter angesehen. Ich bin sehr dankbar, dass mein Gefühl mich in meinem eigenen Fall nicht getäuscht hat, obwohl es so einfach gewesen wäre.
    Das erste Begräbnis, dem ich beiwohnte, war das von Nathan Malik.
    Der Psychiater hatte sich für eine Feuerbestattung entschieden, also gab es lediglich eine Gedenkzeremonie, die in einem Park in New Orleans abgehalten wurde. Etwa fünfzigMenschen kamen, die meisten von ihnen Frauen. Ein paar Männer waren ebenfalls anwesend, darunter einige offensichtlich Vietnam-Veteranen. Ein buddhistischer Mönch hielt die Zeremonie und sprach einige Gebete, und alle legten Blumen vor der Urne nieder.
    Das zweite Begräbnis war das von meiner Tante Ann, und es fand in Natchez statt.
    Michael Wells fuhr mich zum Bestattungsinstitut von Mr. McDonough, half mir in den Rollstuhl und brachte mich hinterher sogar nach draußen zum Friedhof, wo die eigentliche Beerdigung stattfand. Während der Geistliche eine allgemeine Lobrede hielt, saß ich auf einer der für Familienangehörige reservierten Bänke und dachte an das Band, das Ann für Nathan Malik aufgenommen hatte. Die Mini-DV, die ich aus der Schachtel in Evangeline Pitres Haus gestohlen hatte, war unbemerkt in meiner Handtasche geblieben, bis ich im Krankenhaus gelandet war. Ich lieh mir einen Camcorder aus, um es anzusehen, ertrug aber nur die ersten zehn Minuten. Ann hatte viel mehr gelitten als jede andere von uns. Aus irgendeinem Grund hatte sie während der Vergewaltigungen keine Dissoziation erfahren. Sie hatte es gespürt und verarbeitet und sich ihr Leben lang an jedes unerträgliche Detail erinnert. Ihre wichtigste Sorge war es gewesen, ihre jüngere Schwester zu schützen – meine Mutter. Und obwohl es ihr am Ende nicht gelungen war, hatte sie ihr Bestes gegeben. Sie tat es, indem sie meinen Großvater jedes Mal in ihr Zimmer lockte, wenn sie spürte, dass seine Aufmerksamkeit auf ihre Schwester gerichtet war. Doch Ann hatte nicht nur versucht, meine Mutter zu schützen. Der Grund für ihr Schweigen über all die Jahre hinweg war einfach: Großvater hatte gedroht, dass er sowohl ihre Schwester als auch ihre Mutter töten würde, sollte sie jemals über das reden, was er mit ihr tat. Und Ann hatte niemals daran gezweifelt, dass er seine Drohung in die Tat umsetzen würde. Sie wusste besser als jede andere in der Familie, dass Großvater imstande war zu morden.
    Das dritte Begräbnis – das unerwartete – fand einen Tag nach Anns Beisetzung statt.
    Heute.
    Ich bin nicht zum Beerdigungsinstitut gefahren. Ich habe Michael gebeten, mich zum Friedhof zu bringen, wo ich vor Anns frisch zugeschaufeltem Grab sitze. Ich starre auf den feuchten braunen Erdhügel und die Blumen und frage mich, ob ich ihren Selbstmord irgendwie hätte verhindern können. Michael versichert mir, dass ich keine Chance gehabt habe, und ich gebe mir die größte Mühe, ihm zu glauben. Wenige Minuten, bevor die Trauergäste erscheinen sollen, rollt er mich über den Asphaltweg zu einem Aussichtspunkt, von wo ich die Zeremonie beobachten kann, ohne selbst daran teilzuhaben oder angesprochen zu werden.
    Und jetzt sitze ich hier.
    Die Schlange von Luxuslimousinen hinter dem schwarzen Leichenwagen scheint endlos zu sein, wie das Gefolge eines ermordeten Präsidenten. Es sollte mich nicht überraschen. Dr. William Kirkland war ein reicher, mächtiger und respektierter Mann, eine Säule der Gemeinde.
    Meine Mutter hat versucht, die Zeremonie schlicht zu halten, doch am Ende gab sie den wohlmeinenden Freunden nach, die auf eine große Veranstaltung drängten, einschließlich Lobreden des
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