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Bittere Delikatessen

Bittere Delikatessen

Titel: Bittere Delikatessen
Autoren: Horst Eckert
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Sonntagabend
     
     
    1.
     
    Das Gratin war fertig. Durch die Scheibe des Backofens konnte er sehen, wie die Sahne auf den Kartoffelscheiben braune Blasen warf. Er reduzierte die Hitze und stellte einen Teller zum Vorwärmen in den Ofen. Dann wischte er sich die Finger an der Schürze ab, die sich über seinem mächtigen Bauch wölbte, und warf einen Blick in seinen Bocuse.
    Alle Rebhuhnbrüstchen von jeder Seite leicht mit Salz und Pfeffer würzen. Auf der Hautseite zuerst in heißer Butter anbraten.
    Er gab Butter in die Pfanne, nicht zu knapp, und schaltete das Schnellkochfeld auf mittlere Stärke. Während das Fett schmolz, schnitt er die fertig geputzten Steinpilze in dünne Scheiben. Dann befolgte er die Anweisung des Kochbuchs. Es zischte und begann sofort zu duften.
    Seit Jahrzehnten lebte er vom Handel mit kulinarischen Genüssen. Mit einem Partyservice hatte es begonnen, eine Kette exklusiver Restaurants war daraus geworden. Und Kochen war sein Hobby. Kochen, Essen und Trinken. Auf die Kalorien zu achten, hatte er schon vor vielen Jahren aufgegeben. Jeden Sonntagabend bereitete er einen kleinen Festschmaus, ganz für sich allein.
    Es war sein heiliges, privates Ritual, das am Vortag begann, wenn er in seinen Büchern blätterte. Ein ganzes Regal umfasste die Sammlung verschiedenster Rezepte, von der Hausmannskost vergangener Jahrhunderte bis zu neuesten Einfällen sterngekrönter Kochkunst. Seite für Seite wuchs seine Vorfreude. Das Wasser lief ihm im Mund zusammen, und wenn er sich auf eine bestimmte Menüzusammenstellung festlegte, richtete er sich ausschließlich nach der Willkür seiner Begierde, denn unabhängig von den Jahreszeiten bot der Markt am Karlsplatz alles frisch, wonach ihm gelüstete, von Kalbsbries und Gänsestopfleber bis zum wilden Spargel aus Italien oder Thailand. Und was es dort nicht gab, konnte er in seinem eigenen Feinkostgeschäft bekommen, geräuchertes Krokodilfleisch zum Beispiel oder Austern, am Morgen gefischt und vom eigenen Charterservice aus Irland eingeflogen.
    Der Einkauf am Samstag war der erste Höhepunkt des Wochenendes. Den Nachmittag verbrachte er gewöhnlich mit Vorbereitungen in seiner Küche. Fonds mussten gekocht werden, Pasteten gebacken. Er nahm stets die Mengen, die die Rezepte für vier Personen vorsahen, denn er war ein guter Esser, und schon während der Zubereitung konnte er sich das Naschen nicht verkneifen. Er wusste, dass Völlerei als eine der sieben Todsünden galt. Sie würde ihm den Einzug in den Himmel verwehren, doch er fühlte sich bereits zu Hause im Paradies, wenn er ihr an jedem Wochenende hemmungslos frönte. Nur noch selten dachte er an längst vergangene Zeiten, als auch andere Todsünden sein Leben bestimmt hatten.
    Den Sonntag begann er mit einem besonders ausgedehnten Frühstück, denn dies war das letzte Mahl vor dem abendlichen Festschmaus. Danach ging er spazieren, am Rhein oder durch den Wald oberhalb der Rennbahn, selbst bei schlechtem Wetter; solange, bis er Appetit verspürte, also selten länger als eine halbe Stunde. Der Nachmittag gehörte dann der Küche. Nur selten bemerkte er, dass er etwas einzukaufen vergessen hatte. In diesem Fall genügte ihm ein Anruf, jederzeit konnte er sich von einem seiner Angestellten nach Hause liefern lassen, was ihm fehlte. Er brauchte nur zu schnippen, und sie sprangen. Er hatte den Laden gut im Griff.
    Heute war es der Wein gewesen. Zwar war sein Weinschrank stets gefüllt, doch kurzfristig hatte er sich für einen Tropfen entschieden, den er nicht zu Hause vorrätig hatte. Es hatte Vorteile, einen Partyservice zu betreiben. Man war flexibel.
    Der dicke Mann goss sich etwas von dem Roten ein, der jetzt seit gut einer Stunde chambrierte, roch daran und ließ einen Schluck langsam über Zunge und Gaumen gleiten. Ein 82er Brunello, Il Poggione, wuchtig, majestätisch. Ein letzter Blick ins Kochbuch.
    Dann wenden und fertig braten. Die Brüstchen sollen innen noch rosa sein.
    Er tat wie geheißen. Brüstchen, das Wort gefiel ihm.
    Es klingelte an der Tür. Verdammt! Gerade jetzt. Er riss sich die Schürze über den Kopf und walzte den Flur entlang. Schnaufend spähte er durch den Spion. Er erkannte den Rücken einer Person, die einen Trenchcoat trug. Seltsam, an diesem Sommerabend. Und er sah langes, blondes Haar. War das etwa ...? Sein Herz klopfte, als er die Tür öffnete.
    »Du bist es? Was soll die alberne Verkleidung?«
    Sein unerwarteter Gast trat wortlos ein. Im Hintergrund zischte es.
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