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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden
Autoren: Greg Iles
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hat funktionieren lassen.
    Ich verlagere den Hörer von einer Schulter zur anderen und ziehe eine Seidenbluse aus meinem Schrank. »Wo befinden sich die Bisswunden?«
    »Rumpf, Brustwarzen, Penis und Gesicht.«
    Ich erstarre. » Gesicht? Wie tief sind sie?«
    »Tief genug, dass du deine Abdrücke nehmen kannst.«
    Die plötzliche Erregung dämpft die schlimmsten Aufwallungen meines Verlangens nach Alkohol. »Ich bin unterwegs.«
    »Hast du deine Medikamente genommen?«
    Sean kennt mich zu gut. Niemand sonst in New Orleans ahnt auch nur, dass ich etwas nehme. Lexapro gegen Depressionen, Depakote zur Impulskontrolle. Ich habe vor drei Tagen aufgehört, die Medikamente zu nehmen, doch ich will nicht mit Sean darüber reden.
    »Hör auf, dir wegen mir Sorgen zu machen, ja? Ist das fbi da?«
    »Die halbe Sonderkommission ist vor Ort, und sie wollen wissen, was du von diesen Bisswunden hältst. Der Typ vom Bureau fotografiert alles, aber du hast die Ultraviolett-Ausrüstung. Außerdem bist du der Fachmann, wenn es um Zähne geht.«
    Seans anerkennende, wenngleich absichtlich falsche Darstellung meines Geschlechts ist typischer Cop-Slang, und es verrät mir, dass er Zuhörer hat. »Wie ist die Adresse?«
    »Siebenundzwanzig-siebenundzwanzig Prytania.«
    »Hört sich nach einer Adresse mit Alarmanlage an.«
    »Die ist abgestellt.«
    »Genau wie beim Ersten. Moreland.« Unser erstes Opfer – vor einem Monat – war ein Army-Colonel im Ruhestand, ein in Vietnam hoch dekorierter Offizier.
    »Ganz genau.« Seans Stimme sinkt zu einem Flüstern herab. »Schaff deinen hübschen Hintern hierher, okay?«
    Heute erweckt seine irische Vertraulichkeit in mir denWunsch, ihm eine zu langen. »Kein ›Ich liebe dich‹?«, frage ich mit vorgetäuschter Liebenswürdigkeit.
    Seine Antwort ist fast unhörbar leise. »Du weißt, dass ich nicht allein bin.«
    Wie üblich. »Ja. Ich bin in fünfzehn Minuten bei dir.«
    Die Nacht senkt sich herab, während ich mit meinem Audi von meinem Haus am Lake Pontchartrain zum Garden District fahre, dem duftenden Herzen von New Orleans. Ich habe zwei Minuten im Badezimmer verbracht in dem Bemühen, mich vorzeigbar zu machen, doch mein Gesicht ist noch immer verschwollen vom Schlaf. Ich brauche Koffein. In fünf Minuten werde ich umgeben sein von Cops, FBI-Agenten, forensischen Technikern, dem Chef des Morddezernats und möglicherweise dem Chef des New Orleans Police Department, kurz NOPD. Ich bin an derartige Aufmerksamkeit gewöhnt, doch vor sieben Tagen – das letzte Mal, als dieses Raubtier zugeschlagen hat – hatte ich ein Problem am Tatort. Nichts allzu Ernstes. Eine Panikattacke aus heiterem Himmel, nach den Worten des Rettungssanitäters, der mich anschließend untersucht hat. Doch Panikattacken wecken in den harten Männern und Frauen, die mit der Untersuchung von Serienmorden beauftragt sind, nicht gerade Vertrauen. Ein beratender Experte, der sich nicht zusammenreißen kann, ist das Letzte, was sie gebrauchen können.
    Die Nachricht von meiner kleinen »Episode« hat sich selbstverständlich verbreitet wie ein Lauffeuer. Sean hat es mir erzählt. Niemand wollte es glauben. Wieso verliert die Frau, die man beim Morddezernat die »Ice Queen« nennt, plötzlich am Schauplatz eines gar nicht allzu grässlichen Mordes die Fassung? Das wüsste ich selbst gerne. Ich habe eine Theorie, doch die Analyse der eigenen mentalen Verfassung ist ein Geschäft, das bekannt ist für seine Unzuverlässigkeit. Was den Spitznamen angeht: Ich bin keine Eiskönigin, doch in der Macho-Welt der Gesetzeshüter ist diese Rolle das Einzige, das mir Sicherheit verschafft – vor Männern und vor meineneigenen unkontrollierten Impulsen. Bis auf die Tatsache, dass Sean diese kleine Strategie Lügen straft.
    Vier Opfer inzwischen, rufe ich mir ins Gedächtnis, indem ich mich auf den Fall konzentriere. Vier Männer im Alter von zweiundvierzig bis neunundsechzig, alle ermordet im Abstand von einer Woche. In einer Zeitspanne von dreißig Tagen, um genau zu sein. Die Abfolge der Morde ist beispiellos, und wären die Opfer Frauen – die Stadt wäre von Entsetzen gepackt. Doch weil die Opfer Männer im mittleren Alter oder darüber sind, hat sich in New Orleans eine Art faszinierter Neugier breit gemacht. Jedes Opfer wurde ins Rückgrat geschossen, mit Bissen verstümmelt und schließlich mit einem Gnadenschuss in den Kopf erlöst. Die Bisse haben von Opfer zu Opfer an Brutalität zugenommen, und sie liefern außerdem die
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