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Bisswunden

Bisswunden

Titel: Bisswunden
Autoren: Greg Iles
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und Kanten der Realität bewahrt, fühle ich mich noch viel verletzlicher gegenüber dem, das beim letzten Mal meine Panikattacke ausgelöst hat.
    Während ich über die im Halbdunkel liegende Straße gehe, mit ihren schmiedeeisernen Vorgartenzäunen und den Galerien im ersten Stock, spüre ich Blicke auf der Haut. Ich bleibe stehen und drehe mich um, doch es ist niemand zu sehen. Nur ein Hund, der an einem Laternenmast das Bein hebt. Ich suche die Galerien über mir ab, doch die Hitze hat die Bewohner ins Innere der Häuser getrieben. Du meine Güte. Ich fühle mich, als hätte ich meine ganzen einunddreißig Lebensjahre lang darauf gewartet, den Toten in dem Haus vor mir zu sehen. Odervielleicht hat er auf mich gewartet. Irgendetwas jedenfalls wartet auf mich, so viel ist sicher.
    Vor meinem geistigen Auge entsteht ein kristallklares Bild, als ich mich wieder in Bewegung setze, eine beschlagene blaue Dasani-Flasche mit sieben Zentimetern Grey Goose über dem Flaschenboden, wie Schmelzwasser von einem göttlichen Gletscher. Hätte ich das getrunken, hätte ich jede nur denkbare Situation überstanden.
    »Du hast das schon hunderte Male getan!«, beschimpfe ich mich selbst. »Du warst mit fünfundzwanzig in Bosnien, als du noch von nichts eine Ahnung hattest!«
    »Hallo! Sind Sie Dr. Ferry?«
    Ein Cop in Uniform ruft mich von einer Veranda zu meiner Rechten. Das Haus des Opfers. Arthur LeGendre hat in einem großen viktorianischen Haus im Garden District gewohnt, vor dem die Fahrzeuge der Ermittlungsbeamten parken: der Kombi des Coroners, eine Ambulanz, Streifenwagen des nopd und der Suburban des fbi, in dem das forensische Team unterwegs ist. Außerdem sehe ich zwei nicht gekennzeichnete Fahrzeuge der Polizei von New Orleans, eines davon der Wagen von Sean. Als ich die Treppen hinaufsteige, bin ich in dem Glauben, dass alles in Ordnung ist.
    Doch drei Meter hinter der Haustür weiß ich, dass ich in Schwierigkeiten stecke.

2
    E ine spröde Aura der Erwartung erfüllt die viktorianische Eingangshalle des Hauses, das dem Opfer gehört hat. Neugierige Blicke verfolgen jede meiner Bewegungen. Ein forensischer Techniker bewegt sich mit einer alternativen Lichtquelle durch den Raum, auf der Suche nach latentenFingerabdrücken. Ich weiß nicht, wo die Leiche liegt, doch bevor ich den Streifenbeamten fragen muss, der hinter der Eingangstür postiert ist, betritt Sean aus einem angrenzenden Zimmer die Halle und winkt mich herbei.
    Ich setze mich in Bewegung, vorsichtig, um mit meinem Gepäck nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ich wünschte, Sean würde meinen Arm drücken, sobald ich bei ihm bin, doch ich weiß, das kann er nicht. Er tut es aber trotzdem. Und ich erinnere mich wieder, warum ich mich in ihn verliebt habe. Sean weiß immer, was ich gerade brauche, manchmal, bevor ich selbst es weiß.
    »Wie geht es dir?«, murmelt er.
    »Ein wenig wacklig auf den Beinen.«
    »Die Leiche liegt in der Küche.« Er nimmt mir den schweren Koffer aus der Rechten. »Diesmal ist es ein wenig blutiger als beim letzten Mal, aber letztlich ist er bloß ein weiterer Toter. Die Forensiker vom fbi haben ihren Job bereits gemacht, alles bis auf die Bisswunden. Kaiser sagt, das wäre deine Show. Das sollte dich doch aufbauen, oder?«
    »Kaiser« ist John Kaiser, ein ehemaliger Profiler des fbi, der geholfen hat, den größten Fall von Serienmorden in New Orleans zu lösen. Damals verschwanden elf Frauen, während überall auf der Welt Ölgemälde ihrer Leichen auftauchten. Kaiser ist der Verbindungsmann des fbi für die nomurs-Sonderkommission.
    »Der Tatort ist beengter, als er es eigentlich sein dürfte«, murmelt Sean leise. »Piazza ist drin. Jede Menge Spannungen, wenn du genau hinsiehst. Aber das ist nicht dein Problem. Du bist Sachverständige, weiter nichts.«
    »Ich bin so weit. Fangen wir an.«
    Er öffnet die Tür in eine glitzernde Welt aus Granit, Travertin, glänzender Emaille und gebeiztem Holz. Küchen wie diese erinnern mich immer an Operationssäle, und hier gibt es tatsächlich irgendwo einen Patienten. Einen toten Patienten. Mein Blick schweift über ein verschwommenes Gewirr vonGesichtern, und ich nicke zur Begrüßung. Captain Carmen Piazza nickt zurück. Dann sehe ich die Blutspur am Boden. Jemand ist entweder über den Marmorboden gekrochen oder gezerrt worden, hinter die Kochinsel im Zentrum der Küche. Gezerrt worden, denke ich.
    »Hinter der Insel«, sagt Sean neben mir.
    Jemand hat einen Scheinwerfer
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