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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma
Autoren: Brigitte Blobel
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sich voll Luft, schnürt sein Blut ab.
    »95 zu 155«, sagt eine weibliche Stimme.
    Marvin überlegt, was das bedeutet. Er hat keine Ahnung.
    »Marvin? Kannst du sprechen?«
    Marvin schmiegt seine Wange tiefer in das warme weiche Kissen.
    »Marvin!«
    Marvin fährt sich mit der Zunge, die sich wie Schmirgelpapier anfühlt, über die trockenen Lippen, öffnet den Mund ein wenig, will etwas sagen, aber es kommt nur ein krächzendes »Ja« heraus.
    »Gut. Dann sieh mich an!«

    Ich will aber nicht, denkt Marvel. Doch er öffnet die Augen. Er sieht die roten Haare einer Krankenschwester, die eine kleine Plastikschale in der Hand hält. Neben ihr der Mann im weißen Kittel, ein strenger Mann.
    »Du weißt, warum du hier bist?«, fragt der strenge Mann.
    Marvin schließt gequält die Augen.
    Ach, lasst mich doch in Ruhe, denkt er.
    »Dann sage ich es dir. Du hattest 4,3 Promille Alkohol im Blut, als man dich fand. Normalerweise überlebt man das nicht.«
    »Wo … hat man … mich gefunden?«
    »Vor deiner Haustür.«
    »Wer?«
    »Das war ein Mädchen, eine Nachbarin aus deinem Haus.«
    O nein!, denkt Marvel.
    »Mit so einem spanischen Namen«, sagt die Krankenschwester.
    »Miranda Hernandez?« Marvel reißt die Augen auf, bis er das gleißende Licht nicht mehr aushält. Tausend spitze Nadeln in seinem Augapfel.
    »Ja. So heißt sie.«
    Verdammter Mist!!, denkt er. Nicht Miranda! Nicht ausgerechnet sie!
    Marvel zieht wortlos das Kopfkissen unter seinem Kopf weg und legt es sich aufs Gesicht.
    »Was ist passiert?«, fragt der Arzt. »Wie konnte es so weit kommen?«
    Er schweigt.
    Woher soll ich das wissen?, denkt er.
    Er atmet ein und wieder aus. Beim Einatmen saugt sich der Kissenbezug, der nach einem scharfen Waschpulver riecht, an seinem Gesicht fest, beim Ausatmen bläst er ihn von sich weg.
Das Licht ist nicht mehr so grell, die Töne leiser. Irgendwann hört er, wie eine Tür ins Schloss fällt.
    Und dann ist es still. Und er ist allein mit der Frage, wie es so weit kommen konnte.
    Onkel Herbie fällt ihm ein. Wie der immer sagte: »Begrabt mich an der Biegung der Theke.«
    Was für ein Scheißsatz, denkt er.
    Von weither kommt ein Klopfen und dann geht die Tür auf und er hört, wie die Krankenschwester flüstert: »Aber nur ganz kurz! Ich weiß nicht, ob der Oberarzt es erlaubt hat.«
    »Ich will nur kurz Hallo sagen«, antwortet eine atemlose leise Stimme.
    Marvel dreht das Gesicht zur Tür.
    Da steht Miranda. Große Augen starren ihn aus einem weißen Gesicht an.
    »Hallo«, flüstert sie, »du lebst ja noch.«

Epilog
    A ls Marvel aus dem Krankenhaus entlassen wird, ist es warm und in seiner Straße stehen die Lindenbäume in voller Blüte.
    Seine Mutter hat ihn abgeholt. Aber es gibt keinen Kuchen und keine Girlande über der Wohnungstür, auf der steht: »Herzlich willkommen.«
    Dazu, hat seine Mutter gesagt, ist der Anlass zu gruselig. Dass ausgerechnet ihr Sohn zu den Komasäufern zählt, macht sie fertig, sagt sie. Und seinen Vater mache es auch fertig.
    Seine Mutter sagt, sie brauche noch Zeit, um das alles zu verkraften. Sie macht sich Vorwürfe. Sie sagt, dass sie sich mitschuldig fühlt. Aber Marvel weiß, dass seine Mutter am wenigsten Schuld an dem Ganzen trägt.
    Er hatte im Krankenhaus, als seine Leber sich langsam erholte, Zeit genug, über alles nachzudenken.
    Als Bully & Co ihn im Krankenhaus besuchen wollten, hat er gesagt, er könne erst wieder mit ihnen reden, wenn er mit sich selbst klargekommen ist. Er habe keine Lust auf ihre Sprüche und er habe keine Lust mehr, selbst blöde Sprüche zu klopfen.
    Und dann wurde ihm klar, dass er etwas tun musste. Dass er das allen, die ihn ins Leben zurückgeholt hatten, schuldig sei.
     
    Er ist kaum zu Hause angekommen, da setzt er sich an seinen Computer und loggt sich im Internet unter » www.poisonfree.com .« ein. Über einen Link gelangt er zur »Community for Straight Edge People«.

     
     
    Er schreibt:
     
    Hallo Leute, ich komme gerade aus dem Krankenhaus, bin noch ein bisschen neben der Spur. Aber ich kann schon wieder klar denken - jedenfalls mit den restlichen Gehirnzellen, die ich mir nicht weggesoffen habe. Bin im Vollrausch ins Krankenhaus eingeliefert worden, 4,3 Promille. Dr. Jessen sagt, es grenzt an ein Wunder, dass ich das überlebt habe. Zwei Tage Koma, das ist schlimmer als Totsein. Du kommst aus dem schwarzen Loch wieder raus und dann beginnen die Fragen. Ich wünsche niemandem diese Erfahrung, wenn du langsam aus diesem Tunnel
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