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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma
Autoren: Brigitte Blobel
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Rathausplatz herrscht die normale Freitagabend-Hektik. Es ist ein ungewöhnlich kalter Maitag und die Leute haben ihre Kragen hochgeschlagen oder sich in dicke Jacken gehüllt. Andere aber, die anscheinend nicht abwarten können, dass endlich Sommer ist, laufen mit Flipflops herum.
    Nichts Besonderes passiert. Alles normal. An der Currywurstbude
umlagern Leute die Stehtische, die Mülleimer quellen fast über vor all den Papptellern und Pappbechern. Leute stehen mitten auf dem Platz, studieren Stadtpläne oder die Zeitung, sie bilden Gruppen, reden und lachen miteinander, sie rufen ihre Kinder und ziehen ihnen die Mützen zurecht, sie schieben ihr Fahrrad oder tragen Inlineskates unter dem Arm. Alles wie immer.
    Das einzig Ungewöhnliche ist vielleicht, dass der Rathausplatz proppenvoll wirkt. Dennoch, wenn man den Leuten ins Gesicht schaut, bemerkt man nichts Außergewöhnliches. Keine Miene verrät etwas.
    Marvel, Jojo, Bully und Mauki essen Currywurst, trinken Bier und beobachten die Szene.
    »Das Einzige, was mir auffällt«, stellt Mauki fest, »ist, dass mir nichts auffällt.«
    »Doch, sind unheimlich viele junge Leute da«, sagt Jojo. Aber auch er wirkt nicht richtig überzeugt. Alle zehn Sekunden prüft er sein Handy.
    Mauki deutet auf eine alte Frau, die mit ihrem Gehwagen ganz vorsichtig über den Platz tapert. »Meinst du die?«
    »Vielleicht hast du dich im Tag geirrt«, sagt Marvel.
    »Unsinn. Ich kann doch lesen. Wie spät ist es?«
    Es ist fünf Minuten nach sieben.
    »Eigentlich geht das auf die Minute genau los«, sagt Jojo, jetzt bereits etwas kleinlaut. »Ich versteh das auch nicht.«
    Er schaut sich um. Er zwinkert einem Mädchen zu, die sich an ihm vorbeidrängt. Das Mädchen reagiert nicht. Jojos Laune verschlechtert sich merklich.
    Die ganze Stimmung droht zu kippen.
    »Kommt, Leute, wir hauen ab. An den Landungsbrücken geht bestimmt schon die Post ab.«
    »Wartet noch zwei Minuten, ja?«

    Jojo kippt eilig den Rest seines Bieres runter. Sie werfen ihre verschmierten Pappteller in den Müll.
    Marvel beobachtet eine Gruppe von drei Mädchen, die auch alle ihre Handys studieren. Ob die dazugehören? Und die da drüben, die an der Bushaltestelle hocken? Worauf warten die?
    Und was ist mit der Gruppe an den Alsterarkaden, die tun, als würden sie Möwen füttern? Seit wann füttern junge Leute Möwen in der Stadt? Warten die auch alle auf ein Zeichen?
    Und der Junge mit der roten Baseballkappe, der sein Mädchen im Arm hält und dabei auf das Display seines Handys starrt?
    Eine Sirene heult, ein Krankenwagen rast vorbei.
    Die Busse verkehren im Minutentakt. Die Leute drängen in die übervollen Busse, freitags ist immer viel los, Autos bahnen sich ihren Weg, dennoch wird der Platz nicht leerer. Als kämen sie aus allen Ecken und Seitenstraßen, es wird immer voller.
    Jemand rempelt Marvel aus Versehen an. Ein Typ mit HSV-Schal.
    »Sorry, Freund«, sagt er. Sie schauen sich an.
    Marvel lächelt. »Da nicht für.« Ob der auch dazugehört?, fragt sich Marvel.
    Nicht weit entfernt ist die Buchhandlung mit den großen Grabbeltischen für die Sonderangebote. Jedes Buch ein Euro!, steht in roter Schrift auf einem weißen Bettlaken. Unglaublich viele junge Leute umlagern die Stände und wühlen in den Bücherstapeln. Warten die auch alle auf das Zeichen?
    Mauki nimmt Sichtkontakt mit Marvel auf. Er fährt ein paarmal mit der flachen Hand vor seinen Augen hin und her. Das soll so viel heißen wie: Jojo tickt nicht richtig.
    Marvel grinst. Er nimmt den letzten Schluck aus seiner Flasche und überlegt, ob er doch noch ein Bier nehmen soll, bevor sie weiterziehen. Marvel hat echt Lust auf Party machen. Auf
Spaß haben. Er merkt erst jetzt, wie ihm das in den letzten Wochen gefehlt hat.
    Das Bier jedenfalls schmeckt. Es ist eine andere Sorte, als sie gewöhnlich trinken. Man muss auch mal was Neues probieren. Marvel hat sich vorgenommen, sich mit dem Alkohol zurückzuhalten. Aber was sind schon zwei Flaschen Bier? Viele andere Jugendliche halten auch ein Bier in der Hand.
    Er will gerade sein Geld aus der Tasche ziehen und die anderen fragen, was sie von einem weiteren Bier halten, da zischt Jojo: »Achtung! Es geht los!«
    Er legt sein Handy auf den Tisch, damit alle das Display sehen. Eine SMS ist eingegangen:
    ALLE AUF DEN BAUCH LEGEN UND STÖHNEN! EXAKT DREI MINUTEN. DANN AUFSTEHEN UND WEGGEHEN, VIEL SPASS!
    Jojo liegt schon auf dem Boden. Bully auch. Mauki zwinkert Marvel zu, bevor er seinen Anorak
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