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Bis ins Koma

Titel: Bis ins Koma
Autoren: Brigitte Blobel
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keine Zeit haben werden, sich persönliche Dinge an den Kopf zu werfen. Jedenfalls setzt er schon mal ein versöhnliches Lächeln auf.
    Dann bricht das Heulen der Sirene plötzlich ab, grelle Scheinwerfer erfassen ihn, den Eingang der Notaufnahme, die blassen Gesichter der Ärzte und Schwestern in ihren Kitteln, Babsi Keller, die eine dunkle Hose und eine weiße Bluse trägt.

    Der Wagen fährt ein, Sven Keller spurtet hinterher.
    Der Wagen bremst.
    Babsi Keller und er stehen sich plötzlich gegenüber.
    »So sieht man sich wieder«, sagt Sven Keller.
    »Hallo Sven«, sagt Babsi.
    Sie macht einen glücklichen Eindruck, denkt er. Sie sieht gut aus. Vielleicht hat sie einen Freund. Ich wünsche es ihr.
    Die Sanitäter springen aus dem Wagen, rennen nach hinten, öffnen die hintere Tür.
    Sven Keller macht einen Schritt vor, der Arzt will ihn zurückdrängen, aber Sven Keller ist ein alter Hase auf dem Gebiet. Er weiß, dass er sein Foto kriegen wird.
    Der Notarzt steigt aus und ruft: »Koma. 4,3 Promille!«
    4,3 Promille, denkt Sven Keller. Das ist der helle Wahnsinn! Der Junge kann sterben. Wie verrückt ist so einer?
    Sie ziehen die Bahre heraus. Erst die Füße, die Turnschuhe.
    Solche trägt mein Junge auch, denkt Sven Keller.
    Die Jeans.
    Alle Jungen tragen Jeans.
    Die Jacke, ein schwarzer Daunenanorak, wie sie ihn alle dieses Jahr haben.
    Er hebt die Kamera, er drückt auf den Auslöser, einmal, fünfmal, zehnmal, während die Bahre immer weiter aus dem Auto herausgezogen wird.
    Plötzlich ein Schrei. »Nein!!!! Marvin!!!«
    Er lässt die Kamera sinken.
    Seine Kopfhaut zieht sich auf einmal zusammen.
    Er sieht, wie sie seinen Sohn vorbeitragen, bleich wie tot, mit weit aufgerissenen Augen.
    Er sieht, wie seine Exfrau neben der Bahre herläuft, wie sie versucht, Marvins Hand zu fassen, die leblos von der Bahre herunterhängt.

    Sven Keller läuft hinter den Sanitätern her. Ein Arzt, der den Sanis entgegenkommt, ruft ihnen schon von Weitem Anweisungen zu, zwei Schwestern sind plötzlich neben der Trage.
    Sven Keller boxt sie alle zur Seite.
    Einer der beiden Ärzte dreht sich um, starrt ihn an. »Bitte«, ruft er gereizt, »gehen Sie jetzt! Sie haben doch Ihr Foto.«
    »Das ist mein Sohn!«, stammelt Sven Keller. Ein Weinkrampf schüttelt ihn. Er versucht zu Babsi hinüberzusehen. »Es ist unser Sohn, der da liegt. Marvin Keller, sechzehn Jahre.«
    Dr. Martin Jessen starrt den Fotografen an, dann wandern seine Augen hinüber zu Babsi Keller, der Sekretärin der Notaufnahme, die er nun schon so viele Jahre kennt. Er wusste nicht, dass sie verheiratet ist und einen Sohn hat. Babsi Keller ist so kalkweiß, dass sie jeden Augenblick umzufallen droht. Dr. Jessen legt ihr eine Hand auf die Schulter.
    »Bitte warten Sie hier, beide«, sagt er mit einem Blick zu dem Fotografen hinüber und mit einer viel weicheren Stimme, »wir werden alles Menschenmögliche tun, um Ihren Sohn zu retten. Frau Keller, darauf gebe ich Ihnen mein Wort.«
    Babsi Keller schluckt, sie schließt die Augen, nickt.
    »Aber bitte, lassen Sie uns jetzt unsere Arbeit machen. Sie können im Augenblick nichts mehr für ihn tun.«
     
    Das langsame Erwachen, wie ein Auftauchen aus dunkler Tiefe, es wird immer greller, ist jetzt gleißend und tut weh. Alles tut weh, in seinen Ohren dröhnt es, als schlage jemand direkt neben seinem Kopf eine Trommel. Er stöhnt auf, wirft sich hin und her.
    »Marvin! Bist du da? Hörst du uns?«
    Nein, nein. Er schüttelt den Kopf, presst die Lider fest zusammen, will sich die Finger in die Ohren stecken, aber jemand hält seine Hand mit einem eisernen Klammergriff fest.

    »Marvin. Nein! Nicht wieder einschlafen!« Eine strenge Männerstimme. Fremd.
    Wo bin ich?, denkt Marvin. Was machen die mit mir? Wo ist Mama? Was ist los??
    Er öffnet die Augen einen Spalt. Alles hell, alles weiß. Jemand in einem weißen Kittel beugt sich über ihn, leuchtet ihm mit einer kleinen Taschenlampe ins Auge, das tut weh. Das ist unangenehm.
    »Gut. Er kommt zurück. Er hat verdammt viel Glück gehabt.«
    Spricht der von mir?, denkt Marvel. Die Stimme klingt sachlich, nicht gerade freundlich.
    Im Himmel bin ich nicht, denkt Marvel, als der Mann ihn endlich loslässt.
    Er spürt das weiche Kissen an der Wange. Er möchte sich in dieses Kissen schmiegen wie ein Baby an die Brust seiner Mutter.
    Jemand zieht die Bettdecke weg und legt eine Manschette um seinen Arm. Er spürt die kühlen Finger, die geübten Handgriffe.
    Die Manschette pumpt
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