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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin
Autoren: Emily Hainsworth
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wann. Der Schotterparkplatz direkt darunter ist der eigentliche Anziehungspunkt. Wenn man bei Sonnenuntergang hier herauffährt, bietet der Himmel einen spektakulären Anblick – nicht dass irgendwer viel Zeit damit verbringen würde, die Aussicht zu bewundern. Viv und ich sind auch so manches Mal mit ihrem kleinen blauen Wagen hierhergekommen. Es ist einer der wenigen Orte, wo uns niemand belästigt hat, weil sie alle etwas Besseres zu tun hatten.
    Ich zögere, als ich den Rand des offenen Platzes erreiche. Samstagabends ist es immer ziemlich voll hier. Musik pulsiert aus mehreren Fahrzeugen hinaus in die Dunkelheit. Die meisten Fenster sind geschlossen, aber hier und da erhasche ich ein Gemurmel, Lachen – zwei Stimmen pro Auto.
    Ich habe kein Recht, hier zu sein.
    Meine Lunge fühlt sich an, als wäre sie mit Treibsand gefüllt. Ohne Viv bin ich nur ein widerlicher Spanner, der um die Autos der anderen herumschleicht, während die dort drinnen fummeln und knutschen. Ich kann das nicht, ich weiß nicht mehr, wie das geht – morgens aufzustehen, sein Leben zu leben, zu atmen. Ich lausche auf das Lachen, das Reden und stelle mir all das vor, was zu leise gehaucht wird, um hörbar zu sein. All das, was ich auch einmal gehabt habe und was mich irgendwie vollständig gemacht hat.
    Etwas streift meinen Hals, woraufhin ich beinahe rückwärts eine Böschung hinunterfalle. Ich schlage danach, drehe mich im Kreis, suche nach Geistern, hoffe auf Viv. Doch da ist nichts. Mit einem großen Schritt erklimme ich erneut die Stelle, an der ich unter einem tief hängenden Ast gestanden habe. Die kahlen Zweige an seinem Ende strecken sich nach meinem Hals aus. Ich breche sie ab und zerre an dem Ast, der sich neigt und biegt, doch er hat noch viel Leben in sich und gibt nicht nach.
    Das Haus ist still. Ich liege mit geschlossenen Augen im Bett, aber das Sonnenlicht strömt auf mein Kissen. Ich setze mich auf, schwinge das rechte Bein über die Bettkante und reibe die Narbe, die vom Ansatz des Oberschenkels bis über mein Knie verläuft. Es pocht immer noch. Ich versuche, mich daran zu erinnern, ob ich geträumt habe, aber falls ja, habe ich es zum Glück vergessen. Was ist schlimmer, überlege ich, der Teil meines Lebens, den ich wachend verbringe, der Teil, den ich mit Albträumen verbringe – oder vielleicht der, wo ich keinen Unterschied mehr sehe. Ich blicke auf meine kahlen Wände, den Kleiderberg neben dem Bett. Auf meinem Schreibtisch herrscht nach wie vor Chaos, der Stuhl liegt immer noch umgeworfen von gestern Nacht, als ich nach Hause gekommen bin. Wenigstens ist außer mir niemand hier – ob wirklich, eingebildet oder tot.
    Die Zeitung liegt über den ganzen Küchentresen ausgebreitet. Das Geschirr stapelt sich in der Spüle, und die Spülmaschine piept, obwohl sie seit letzter Woche nicht mehr benutzt wurde. Ich ziehe die Klappe auf, mache sie wieder zu, und das Piepen hört auf.
    In der Obstschale steckt eine neue Nachricht.
    Cam,
    Prozess am Montag, muss das ganze Wochenende arbeiten.
    Bin im Büro, wenn du mich brauchst.
    Tut mir leid! Vermisse dich.
    Kuss,
    Mom
    Ich werfe den Zettel zurück zwischen das Obst. Anwälte arbeiten am Wochenende noch mehr als sonst, vor allem alleinerziehende Anwälte. Ich schütte etwas übrig gebliebenen Kaffee in einen Becher, stelle ihn für dreißig Sekunden in die Mikrowelle und trinke ihn schwarz, während ich auf den Wirtschaftsteil der Zeitung starre. Er ist besser als die Sportseiten, und auf die farbige Titelseite habe ich keinen Blick mehr geworfen seit … na ja, seit August.
    Mein Magen knurrt. Ich mache einen Schrank auf und hole eine Packung Toasty-O’s-Kringel und eine von unseren nicht zusammenpassenden Müslischalen heraus. Die Hälfte davon ist weg, genauso wie die Hälfte unserer Teller, die Hälfte des Bestecks, die Hälfte der Gläser. Dad hätte ruhig auch alles mitnehmen können, denn Mom und ich essen kaum noch zu Hause.
    Ich schnappe mir das Telefon in der Küche und wähle seine Nummer, um ihm die Meinung zu sagen.
    Es klingelt zweimal.
    »Hallo?«
    Ich reiße mir das Telefon vom Ohr und halte es auf Armeslänge weg, erschrocken, dass er rangegangen ist – was wollte ich denn bloß sagen? In den vergehenden Millisekunden höre ich ihn atmen, warten …
    »Cam? Kumpel, bist du das?«
    Ich zerquetsche fast den Hörer in der Hand – ich möchte ihn erwürgen.
    Dann knalle ich das Telefon in die Halterung, starre es an und knalle es wieder dagegen, immer
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