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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin
Autoren: Emily Hainsworth
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wieder, Kunststoff auf Kunststoff, bis ein Stück abbricht. Ich lasse es los, und der Hörer schlägt baumelnd gegen die Wand, bis er anfängt zu piepen, weil er ausgehängt ist.
    Ich lehne mich gegen den Tresen und glotze auf die Plastikstücke auf dem Boden.
    Mein Bein tut weh.
    Wenn Viv hier wäre, würde sie das alles heil machen.
    Zumindest wüsste sie das Richtige zu sagen.
    Ich muss wieder zu der Straßenecke. Heute Nacht. Wenn es irgendeine Chance gibt, sie noch einmal zu sehen, dann dort. Es war ein Geist, was mir begegnet ist, das ist die einzige Erklärung. Selbst wenn es nicht Viv war – schließlich gibt es haufenweise Tote –, muss sie dort auch irgendwo sein. Denn falls nicht …
    Das Universum würde mir das einfach nicht antun.

FÜNF
    I ch stehe an der Straßenecke vor dem Schrein, und die Sterne leuchten.
    Viv lächelt mich von ihren Fotos an.
    Ich gehe einen halben Häuserblock weit in beide Richtungen. Es ist niemand da.
    Nichts geschieht.
    Die Luft ist nicht nur kühler jetzt, sondern bekommt langsam auch diesen frischen, herbstlichen Biss. Wenigstens habe ich diesmal eine Jacke an. Ich setze mich auf einen Stein, puste wärmend in meine Hände und würde gern eine rauchen. In meiner Jackentasche ist ein Päckchen, aber ich hole es nicht heraus. Vermutlich könnte ich an jedem x-beliebigen Ort nach Geistern Ausschau halten, aber das einzige Mal, dass ich einen gesehen habe, war hier. Jetzt wünschte ich, ich hätte besser bei diesen Geisterjäger-Serien aufgepasst, die Viv so gern gesehen hat. »Wir sollten gewappnet sein, Cam«, pflegte sie zu sagen. »Wer weiß, vielleicht müssen wir eines Tages auch mal ein Gespenst fangen.« Ich schlucke schwer und versuche, mich an eine Folge zu erinnern, in der die Leute tatsächlich einen Kontakt mit dem Übersinnlichen hergestellt hatten, aber irgendwie wurden da nur Lampen an- und ausgemacht und knisternde Audioaufnahmen abgespielt. Mir fällt jedenfalls keine Erscheinung ein, die tatsächlich vor der Kamera auftauchte und etwas sagte.
    Aber ich weiß, was ich hier nachts gesehen habe. Warum nur konnte es nicht Viv sein?
    Ich stehe auf, gehe hin und her und spähe zu beiden Seiten um den Strommast herum.
    Nichts.
    Ich fühle mich ein bisschen jämmerlich, verzweifelt, ihr aber auch irgendwie nahe.
    Dann höre ich ein leises Geräusch. Ich lausche angestrengt. Es ist zuerst nur ganz schwach, wird aber langsam deutlicher, als käme es näher. Es hat einen schrillen Unterton, ist jedoch unverkennbar menschlich. Es klingt, als würde jemand …
    Weinen?
    Mit drei langen Schritten bin ich an dem Schrein vorbei und im Gebüsch, wo das Geräusch lauter wird, sodass ich mich frage, ob ich nicht lieber wieder das Weite suchen sollte. Da ist ein grüner Schimmer hinter dem Mast, wo vorher garantiert nichts war. Relativ blass.
    Bis das Mädchen zum Vorschein kommt.
    Das Licht wird auf einmal intensiver, und es ist unmöglich, sie nicht anzustarren, als sie eine Träne von ihrer durchsichtigen Wange wischt.
    Sie mustert mich mit dem gleichen gequälten Ausdruck wie vorgestern und hält meinem Blick unverwandt stand. Ich muss wegsehen. Das Geistermädchen legt einen Arm um ihre Mitte, hält sich mit der anderen Hand den Mund zu und erstickt einen Laut, der ein Echo zu haben scheint, als würde jemand weit entfernt schluchzen.
    »Ist noch jemand bei dir?«
    Sie macht ein verwirrtes Gesicht. »Was?«
    »Ist da noch jemand?« Mir bricht der kalte Schweiß aus.
    Sie tritt verlegen von einem Fuß auf den anderen. »Erkennst du mich nicht wieder?«
    Mein Verstand rast, liefert aber kein Ergebnis. Ihre Haare sind lang und glatt, wenn auch nur etwas dunkler grün als ihre Haut. Sie ist klein und zierlich – mit Kurven zwar, aber kein Vergleich zu Viv. Trotzdem würde ich mich wohl an ihr Gesicht erinnern, an diese großen, dunklen Augen, die nicht von dickem Make-up beschwert sind. Sie hat eine kleine Stupsnase und einen Schmollmund, der ein hübsches Lächeln erahnen lässt.
    Ich habe dieses Mädchen noch nie im Leben gesehen.
    Ich schüttele den Kopf.
    Ihr Blick wird matt, und sie lässt die Arme herabfallen.
    Es kommt mir vor, als würde mir ein entscheidendes Puzzleteil fehlen. Wenn sie ein Geist ist, muss es einen Grund geben, weshalb ich sie sehe und nicht Viv.
    Es sei denn, es handelt sich um einen üblen Streich …
    Das Mädchen wirkt immer noch unruhig und reibt etwas in ihrer Hand, und dann sehe ich, was es ist.
    Das Feuerzeug war ein Geschenk von Viv, und
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