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Bis ich bei dir bin

Bis ich bei dir bin

Titel: Bis ich bei dir bin
Autoren: Emily Hainsworth
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Augen blickte. Dann drehte sie sich zu dem Barista um und sagte todernst, als könnte sie meine Gedanken lesen: »Einen Vanilla-Latte und einen Bagel bitte.« Sie füllte die Lücken in mir aus und gab mir das Gefühl, ganz zu sein.
    Jetzt bin ich die einzige Person in meinem Kopf.
    »Cam?«
    Viv?
    Ich bleibe stehen und sehe zu dem Mast hinüber. Ein Licht schimmert in der Dunkelheit dahinter auf. Ich blinzele in die Richtung und erwarte, wieder ein Auto zu sehen, aber das sind keine Scheinwerfer. Das ist ein ganz anderes Leuchten.
    Es hält nicht auf mich zu, und es kommt nicht von der Straße.
    »Cam?«
    Wieder diese Stimme. Ich drehe mich um – und noch einmal.
    Es ist niemand da.
    Nur das Leuchten.
    Ich gehe ein paar Schritte zur Seite, weil es so aussieht, als käme das Licht von irgendwo hinter dem Holzmast. Ein Feuer? Ich eile darauf zu, doch als meine Jeans das Gebüsch streift, erstarre ich. Meine Nackenhaare stellen sich auf.
    Ein grünes Licht schimmert hinter dem Strommast.
    Darin steht ein Mädchen.
    Ein Mädchen, durch das ich hindurchsehen kann.
    »Cam!«
    Ihre Haut, ihre Kleider und ihre Haare sind durchscheinend und grünlich gefärbt in diesem seltsamen Licht. Durch ihren Körper hindurch erkenne ich, wie die Blätter an den Büschen im Wind schwanken.
    Jetzt habe ich den Verstand verloren.
    Mein Magen fühlt sich an, als müsste er eine Kanonenkugel verdauen, doch ich sehe ihr ins Gesicht und warte darauf, dass es sich in etwas Dämonisches und Grauenerregendes verwandelt, weil ich genug Horrorfilme gesehen habe, um mit so etwas zu rechnen. Die Mädchengestalt bleibt, zumindest vorläufig, aber sie hat so einen seltsamen Ausdruck in den Augen, und über ihre Wangen ziehen sich Streifen, als hätte sie geweint.
    Das ist eindeutig nicht Viv. Ich habe keine Ahnung, wer das ist.
    Panisch überlege ich, was ich tun soll. Das Naheliegendste wäre es wegzulaufen. Mein linkes Bein brennt vor lauter Drang, auf das Pflaster zu hämmern, aber mein rechtes ist anderer Meinung. Die Verletzung gewinnt jedes Mal. Im Moment allerdings scheint weder Flucht noch Kampf nötig zu sein.
    Sie steht reglos da und sieht mich an.
    »Cam?«
    Ich bin unsicher, wie ich auf eine Erscheinung reagieren soll, die meinen Namen kennt, also nicke ich nur.
    Sie ringt die Hände und wischt sich übers Gesicht. »O Gott.«
    Da trifft mich die Erkenntnis – ich halluziniere. Bin jetzt wohl endgültig übergeschnappt. Ich greife nach meinem Handy in der Hosentasche, um Dr. Summers anzurufen, doch noch ehe ich darüber nachdenken kann, wie ich ihr diese Sache erklären soll, sagt das Mädchen wieder etwas, das mich schockiert.
    »Bist … bist du ein Geist?«
    Ich schlucke und mustere sie von Kopf bis Fuß. Sie ist immer noch durchsichtig, immer noch leicht grün, aber ihre Kleidung wirkt ziemlich normal. Sie hat Stiefel an und einen kurzen Rock mit einer Jeansjacke. Die Haare fallen ihr glatt über die Schultern. Sicherheitshalber inspiziere ich meinen ganz und gar undurchsichtigen Arm. Bin ich etwa der Geist?
    »Bist du einer?«, frage ich zurück.
    Meine Halluzination beißt sich auf die Lippen.
    Warum habe ich nicht Viv halluziniert?
    Dann kommt mir ein neuer Gedanke: Dieses vorbeifahrende Auto – vielleicht hat es doch nicht rechtzeitig die Kurve gekriegt. Bin ich am Ende überfahren worden? Bin ich tot? Ist mein Wunsch mir doch noch erfüllt worden?
    Aber wenn ich tot bin, wo ist dann Viv?
    Der Wind fährt mir in die Haare und unter den Stoff meines T-Shirts. Ich muss halluzinieren, keine Frage. Mir ist viel zu scheißkalt, um tot zu sein. Ich stampfe mit dem Fuß auf und stecke die Hände in die Hosentaschen. Sie dagegen steht einfach da und sagt nichts.
    »Ich habe dich gefragt, ob du ein Geist bist?«
    Das Mädchen runzelt die Stirn, was irgendwie entwaffnend ist, weil sie zwischen mir und dem Schulgebäude steht und ich das Fenster des Kunstsaals durch ihre Stirn hindurch sehen kann.
    Ihre Unterlippe zittert. Sie holt etwas aus ihrer Jackentasche und hält es mir hin. Ich mache einen Schritt auf sie zu, besinne mich dann eines Besseren – falls sie doch keine Ausgeburt meines Gehirns ist – und recke den Hals. Ein metallisch grünes rechteckiges Ding, in das vorn in Großbuchstaben etwas eingraviert ist: C.P.
    Ein Geist hält das Feuerzeug in der Hand, das ich heute Morgen weggeworfen habe.
    Ach du Scheiße.
    »Cam …«
    »Woher hast du das?«, schnauze ich sie an. »Und woher weißt du überhaupt, wie ich heiße?«
    Ihr
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