Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch
Autoren: Hajo Schumacher
Vom Netzwerk:
Urlaubsmorgen, wenn die Sonne über Wangerooge aufgeht, dröhnt »Himmelblau« von den Ärzten besser als zwei Liter Kaffee. Bands am Straßenrand wirken auf Marathonläufer wie mentale Förderbänder. Die dollste Samba allerdings erleben Läufer beim Finale der »25 km von Berlin«. Entkräftet schleppen die Athleten sich Richtung Olympiastadion, wenn sie von Ferne plötzlich ein Wummern vernehmen. Die Trommeln saugen auch die kaputtesten Läufer magisch an.
    Und dann beginnt das emotionale Inferno. Im Betontunnel, der ins Stadion führt, hallen die Trommeln so heftig, dass sogar die Eingeweide mittanzen. Manche laufen angeblich nur mit, um diesen Moment zu erleben, bevor sich das weite Rund der Arena öffnet. Grandios.
    Und genau hier beginnt das Problem. Sportmediziner von der University of North Carolina haben festgestellt, dass dröhnende Beats die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol begünstigen – einer der Gründe, warum der US-Leichtathletik-Verband den Einsatz von MP3-Playern verbietet. Zu viele Sportsfreunde hatten ihre Kollegen einfach umgerannt oder sich selbst über die Maßen verausgabt. Deswegen gilt für Musik dasselbe wie für Rotwein: Dosis und Qualität sind entscheidend.

Das dauert vielleicht

    Politik bedeutet ein starkes langsames Bohren von harten Brettern.
    Max Weber
    Was für die Politik gilt, trifft auch auf das Bewegen zu. Wir leben in Zeiten schneller Bedürfnisbefriedigung. Aber nicht alle positiven Folgen regelmäßigen Austobens sind sofort spürbar. Wer Gewicht verlieren will, darf sich ebenso auf ein Geduldsspiel einstellen wie diejenige, die Entspannung sucht. »Geschenkt gibt’s nichts«, sagte meine Mutter immer, wenn ich sie ein vermeintliches Schnäppchen erwerben lassen wollte.
    Zum Beispiel Abnehmen: Wer zwanzig Jahre lang jeden Tag eine Handvoll Kalorien zu viel zu sich nahm, und wer tat das nicht, der hat sich den klassischen Mittvierziger-Speck angefuttert. Um abzunehmen, müssen – sehr einfach – mehr Kalorien vernichtet als aufgenommen werden. Dreimal die Woche eine Stunde strammen Bewegens bringen etwa 200 Gramm.
    Nun neigen gerade Einsteiger dazu, sich für ihre Leistungen kulinarisch zu belohnen. Gleichzeitig verändert Bewegung das Verhältnis von Fett- und Muskelzellen. Da Muskelgewebe schwerer ist als Fett, zeigt die Waage am Anfang eines langen Weges oft unerwartet hässliche Zahlen.
    »Die meisten Probleme sind komplex, vielschichtig, verzwickt, sie sind nicht einfach zu lösen, sondern bedeuten Regelkreise«, sagt Nico Stehr, Professor für Kulturwissenschaften an der Zeppelin-Universität Friedrichshafen. Bei aller Freude am Bewegen stimmt eben auch: Erfolge brauchen Zeit, Willen, Geduld. Körper und Geist sind komplexe Gesellen. »Die Natur macht keine Sprünge«, wusste schon Aristoteles.
    Moderne Problemlösungsexperten schwören auf die Strategie der Mehrziel-Optimierung. Nach vielen Jahren zweifelhafter Prioritäten hat mir dieses Rezept geholfen. Wer sich bewegt, hegt ja meistens mehrere Pläne: mehr Ausdauer, mehr Ruhe, weniger Gewicht, mehr Wohlbefinden, mehr Tempo, der elende Marathon, Gesundheit, manchmal sogar Freude.
    Dummerweise wird sich ein Ziel allein kaum realisieren lassen. Wenn ich an meinem Tempo arbeite, kann ich mich auf eine Stressreaktion meines Körpers absolut verlassen. Schneller bedeutet für mich verletzter und schlechtlauniger.
    Ähnlich verhält es sich mit dem Abnehmen: Bin ich öfter und länger unterwegs, werde ich mich langweilen, die Freude verlieren, zu wenig Zeit für andere Dinge haben.
    Am schwierigsten ist es, eine ordentliche Entspannung hinzubekommen. Je verbissener ich auf den freien Kopf warte, desto voller wird er.
    Die Mehrziel-Optimierung funktioniert wie ein Equalizer, der die Tonfrequenzen eines Musikstückes aufeinander abzustimmen versucht. Es gibt kein Optimum, aber mehrere gute Lösungen, kurz: 80 Prozent sind auch schon ganz gut. Dafür werden andere Ziele womöglich zu 70 statt bisher nur zu 40 Pro zent erreicht. Die Kunst besteht darin, Ziele so zu organisieren, dass einzelne nicht ganz erreicht werden, das Gesamtergebnis aber zufriedenstellt.
    Diese Kompromisse sind eine Kunstform, die oft jahrelanges Herumprobieren erfordert, wenn es etwa darum geht, den Job, die Familie und eigene Wünsche so abzustimmen, dass nicht ewig das schlechte Gewissen hämmert. Das Optimieren einfach zu lassen, ist wohl meine erfolgreichste Optimierungsstrategie.
    Der Happy Planet Index , der, wenn auch
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher