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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch
Autoren: Hajo Schumacher
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fröhlich, vor allem immer kontra. Will ich raus, strebt er aufs Sofa. Liege ich auf der Couch, beschimpft er mich für meine Trägheit. Was mich einst quälte, ist inzwischen ein kreativer Prozess geworden. In einem endlosen Hin und Her basteln wir unentwegt an Ideen, bevorzugt an der frischen Luft. Achim und ich fahnden täglich nach den kleinen und großen Storys von Menschen, die nicht stillsitzen können. Manche nennen es Nabelschau, andere Egozentrik. Ich nenne es therapeutisches Schreiben. Mein Achim spiegelt mich, beim Laufen, Schwimmen, Radfahren, Wandern, Paddeln, Faulenzen. Warum tust du das? Wie geht es dir dabei? Willst du nicht mal was Neues ausprobieren?
    Unsere Erkenntnis aus ungezählten gemeinsamen Stunden lautet: Glaube nur an Erfahrungen, die du selbst gemacht hast. Verabschiede dich von unrealistischen Zielen. Höre auf jedes Knacken deines morschen Leibes. Lerne Pausen zu lieben. Wirf deine Ratgeber-Bücher weg. Schalte das Handy aus. Bleibe auf dem schmalen Pfad zwischen gesunder Disziplin und ungesunder Härte. Spar dir die ehrgeizkranke Ego-Show, die manchen Sportsfreund ins Lazarett befördert hat. Betrachte das Bewegen als soziales Miteinander, als tägliches Geschenk. Hör auf dich, vertraue dir. Und sag »nein«, wenn dir danach ist. Weg mit dem Druck. Spaß haben. Die eigene Natur entdecken, fröhlich sagen: »Das passt zu mir.« Zur Not sogar Nordic Walking, aber wirklich nur zur Not. Mach los, mach locker, aber mach.
    Heute weiß ich: Bewegen ist kein Projekt, keine Frühjahrskur, kein Urlaubskurs, sondern mein alltägliches Bedürfnis, so normal wie Schlafen und Essen und Sex. Diese drei machen mit, vor, nach Bewegung übrigens deutlich mehr Freude.
    Mein Leben als Freiberufler ermöglicht mir eine luxuriöse Kombination aus Grübeln und Arbeiten und Bewegen. Will ich raus, dann gehe ich einfach. Ich habe dieses Privileg genutzt, um meine Liste des Schreckens deutlich zu verkürzen. Bewegen ist Urlaub, Medizin und Seelenpflege zugleich. Und halbwegs schlank hält es auch.
    Bewegen bedeutet mir weit mehr als das wechselweise Bewegen der Extremitäten.
    Wer sich bewegt, legt Distanz zwischen sich und die Welt.
    Wer sich ambitioniert bewegt, der lernt Respekt vor dem eigenen Körper und den Leistungen anderer.
    Wer sich entspannt bewegt, der ist für sich, der sucht den Ausweg nach oben.
    Wer sich mit anderen bewegt, erlebt Menschen unmittelbarer als im Anzug.
    Wer sich regelmäßig bewegt, der erfährt Wachstum, ein neues Maß an Gelassenheit und womöglich mehr Krisenkompetenz.
    Wer sich schließlich bewusst bewegt, der stiftet Sinn und zwar exakt jenen, den er seinem Tun gibt.
    Zu Unrecht gilt Bewegung vielen Menschen lediglich als Vernunftsache – der Gesundheit und des längeren Lebens wegen. Trägheit sei der sicherste Weg zum kurzen Leben, warnt die Medizin-Fachzeitschrift The Lancet ; Sitzen und Fernsehen seien ein Fluch der Zivilisation, hat die Louisiana State University herausgefunden. Mir egal. Mich motiviert Vernunft nicht sonderlich. Eher die Aussicht auf frische Luft, auf eine Stunde ohne Handy und Konferenz. Auf einem Baumstumpf in der Sonne dösen, quatschen oder schweigen, neue Wege erkunden – eben alles, was wir uns aufsparen für die angeblich kostbarsten Wochen des Jahres. Warum eigentlich? Ich will jeden Tag meine Portion Ferien, meine kleine Flucht aus der Welt.
    Sportliches Bewegen bietet mir die große, laute, stille Freiheit, ein Spektrum von Meditation bis Headbangen. Bewegen ist unpolitisch, nicht rechts noch links, aber demokratisch und sozial, weil für jeden Menschen machbar. Bewegen trägt das Rebellische der Ehrlichkeit in sich, das Schonungslose der Kunst, die kulturelle Tiefe des gespielten Ernstfalls. Bewegen ist die Freiheit, sich anders fühlen zu dürfen, ohne gleich das Leben zu ändern. Bewegen meint konkrete Eigenverantwortung, Macht und Ohnmacht des Menschen über sich selbst. Bewegen bietet eine Parallelwelt, die sich über das Körperliche definiert, über Regeln und Rituale, über Atmosphäre und Ästhetik, ohne dass ein Lebensstil vorgeschrieben wäre. Kiffer laufen Marathon, Moralisten scheitern an mangelnder Motivation. Bewegen ist ein Spiel, das Außenstehenden bizarr vorkommen mag, das aber jeden mitmachen lässt.
    So habe ich mit den Jahren ein bisschen Frieden mit mir gemacht, Ansprüche verfeinert, vor allem aber Ziele neu definiert. Das ewige Gehechel nach absurden persönlichen Rekorden zum Beispiel hat an Macht über mich
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