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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch
Autoren: Hajo Schumacher
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verloren. Stattdessen lege ich gesteigerten Wert auf das, was Experten »unspezifisches Ausdauertraining« nennen – das Rad als Verkehrsmittel, Bierkiste und Treppe als Krafttraining, der Wettlauf mit dem Sohn zum Supermarkt. Das ganze Leben ist ein Sportplatz. Ziemlich unsinnig, seine Dosis Bewegung auf 45 Minuten Stepper zu reduzieren. Ich will Menschen treffen, reden, lachen, Erfahrungen austauschen, Pläne schmieden. »Wie gut ich in soziale Netzwerke eingebunden bin, ist viel wichtiger als die Frage, wie ich mich ernähre«, sagt der Psychosomatik-Professor Peter Henningsen. Also sind Freunde, Sport und Bier eine optimale Kombination.
    Was Milan Kundera die »Partitur des Lebens« nennt, wurde für mich, nach Jahren der Ruhelosigkeit, durch die Zwiegespräche mit Achim sichtbar, nicht sofort, sondern Schnipsel für Schnipsel. So langsam erkannte ich mein Mosaik an Verhaltensmustern und Bedürfnissen, eine innere Collage, mehr Wanderbaustelle als Kunstwerk. Meine wichtigste Erkenntnis: Ich brauche Zeit für mich, am besten jeden Tag, mindestens eine Stunde, am liebsten in Bewegung. So komme ich zur Ruhe, manchmal jedenfalls.
    In seiner »Kritik der neuronalen Vernunft« beschreibt Thomas Fuchs den Menschen als Beziehungsgeflecht. Die Freudsche Drittelung in Ich und Es und Über-Ich, diese Vorstellung, dass das Hirn den Muskel lenkt und das Gewissen vom Hochsitz aus bewertet, ist eine überholte Idee. Es gibt keine Seele ohne Fühlen, kein Denken ohne Seele, kein Fühlen ohne Denken. Alle drei befeuern sich in einem komplexen Reaktions-Dreieck. Glück ist, wenn dieses dynamische Dreiersystem in der Balance bleibt, wenn keiner kommandiert, keiner leidet, alle rund miteinander laufen.
    Üben, immer wieder Üben, sei der sicherste Weg, diese Balance zu erreichen, sagt der Philosoph Peter Sloterdijk. Bei fortgeschrittenen Übenden lösen sich Denken und Fühlen und Bewerten auf, Anspruch und Realität vereinen sich auf wundersame Weise. Diesen Flow kennen Handwerker, Musiker, Maler, aber auch Kinder, die gedankenverloren an einer Sandburg bauen.
    Ich komme dem Flow durch Bewegen nah. Die innere Inquisition gegen das eigene Ich verschwindet mit jedem Schritt und Tritt, Können und Wollen verschmelzen. Im Paddeln harmonisiere ich mich mit der Welt, der Frühtau am Berge erdet mich.
    Dafür haben wir lange geübt, Achim und ich. Wir haben im See-Kajak auf dem Atlantik gebibbert, mit Mönchen Meditieren geprobt, wir haben an die You-can-win-if-you-want-Philosophie geglaubt, die Bohlen und Obama vereint, um sie schließlich für Bullshit zu halten. Wir haben uns durch Marathons und Triathlons gequält und beim Pilates nach unserem Powerhouse gefahndet. Oft war Achim die letzte Cola auf meinem Weg durch die Wüste des Lebens, vor allem dann, wenn er plötzlich sagte: Komm, wir hauen ab, das ist nichts für uns.
    Dieses Buch schildert unseren langen Weg durch die Welt der Bewegung, unsere Körperexperimente und Seelenproben, unsere Zerwürfnisse, die vielen Fehler und noch mehr kleine Momente großen Glücks, die alle eines gemeinsam hatten: Sie kamen überraschend und unter freiem Himmel.
    Es war richtig, was wir gemacht haben, das besagen jedenfalls täglich neue Studien. Fazit der Wissenschaft: Wer sich regelmäßig bewegt, der arbeitet die Liste des Schreckens auf ökonomische, angenehme und gesunde Art einfach ab.
    Mein Achim sagt: Du willst dich wohler fühlen? Dann geh raus und tob dich aus.
    In diesem Sinne: Bewegt euch.
    Viel Spaß dabei.
    Hajo Schumacher und Achim Achilles
    Im Sommer 2012

1 Mein bewegtes Leben

    Hajo hat heute am Strand eine Burg gebaut.
Er ißt und schläft gut.
    Postkartentext aus der Kinderkur, Föhr, 1970
    Ich weiß nicht, ob es am miesen Karma liegt, aber ich bin als Diesel geboren worden. Ich bin eine einzige Anlaufschwierigkeit, sprintschwach, durchzugsarm und ohne Vorglühen nicht zu gebrauchen. Niedriger Blutdruck beschert mir in der ersten Tageshälfte die Dynamik einer halb gefrorenen Amphibie. In meiner Kindheit habe ich mich eher widerwillig bewegt, weil es entweder anstrengend war, langweilig oder mit Demütigungen verbunden.
    Um das erhebende Gefühl des Bewegtwerdens zu erleben, bin ich als Kind bei Karstadt in Münster wohl fünftausend Mal Rolltreppe gefahren. Meine Mutter musste mich von den gerippten Stufen zerren. Ich wehrte mich, auch, weil ich die Heimfahrt fürchtete, auf dem Rad im Nieselregen, über zwei Brücken, deren Steigungen kein Ende nehmen wollten.
    Dann kam der
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