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Bewegt Euch

Bewegt Euch

Titel: Bewegt Euch
Autoren: Hajo Schumacher
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wissenschaftlich umstritten, das Glück der Völker dieser Erde zu messen versucht, bringt regelmäßig ein nachvollziehbares Resultat: Bescheidenheit ist eine jener Tugenden, die Wohlbefinden erst möglich machen. Wer nicht alles immer gleichzeitig will, hat gute Aussichten auf Zufriedenheit.
    Die Schwester der Bescheidenheit ist die Geduld, meine schwerste Übung. Seine Schüler fürchten sich einerseits vor Anstrengung, andererseits wollen sie alles sofort können, weiß der indische Yogalehrer Iyengar, 93, der die indische Bewegungslehre im Westen bekannt machte. Der Meister predigt zwar den Wert des Schmerzes, achtet zugleich aber darauf, seine Jünger nicht zu überlasten. Auf gut Yogisch: Entwickle die Gelassenheit, deinen Muskeln beim Wachsen zuzuschauen. Und erwarte kein höheres Tempo als bei einem Grashalm.

Körperkrieg und -frieden

    Er fühlte sich gut, hatte viel trainiert. Doch er ist nie ins Ziel gekommen.
    Die Berliner Morgenpost über den Freizeitläufer Werner Dörr, der beim Berliner Halbmarathon 2011 zusammenbrach
    Mona, die leidgeprüfte Gattin, hört schon gar nicht mehr hin, wenn ich, mit eingezogenem Bauch, vor dem Spiegel eine athletische Körperhaltung einzunehmen versuche, begleitet vom Wehklagen aller Diven: »Ich bin zu dick.« Natürlich eine Koketterie. Ich erwarte von einer ordentlichen Ehefrau, dass sie umgehend antwortet: »Aber Schatz, das ist nicht wahr. Für fast fünfzig bist du toll in Schuss. Maximal noch drei, vier Kilo, und du bist in olympischer Form.« Aber Mona sagt nichts. Sie gähnt nur. »Ich bin zu dick«, wiederhole ich ungehalten. Mona guckt immerhin von ihrem Lehrbuch über Narzissmus auf. »Stimmt«, sagt sie.
    Mal abgesehen von den sinnlosen Dialogen des Ehealltags hat die viele Bewegerei einen unterschätzten Vorzug. Wer ständig in aufreizenden Sportklamotten durch die Gegend rennt, wer vor allem pausenlos von anderen Menschen in noch engeren Sportklamotten umgeben ist, der entwickelt eine gewisse Körperneugier.
    Aus meiner Sport-abstinenten Zeit meine ich mich an ein komplett gegenteiliges Verhalten erinnern zu können: das systematische Ignorieren des eigenen Leibes. Nacktheit ver meiden. An Spiegeln zügig vorbeigehen. Keine Shorts. Keine T-Shirts. Nur mehrlagige zeltartige Textilien.
    Für mich ist es eine unglaubliche Befreiung, nicht über Gewichts-Themen und die Folgen nachdenken zu müssen. Wenn ich Bock auf Burger habe, dann rein damit, gern auch zwei.
    Essen und trinken nach Laune, das ist ein gewaltiger Gewinn an Lebensqualität und durchaus auch Gesundheit. Meine Werte seien prima, sagt der Doc. Doch gerade fitte Freizeitathleten neigen dazu, an anderen Fronten Krieg gegen sich selbst zu führen. Marathon mit Schmerzmitteln ist schon fast normal, um zerfaserte Achillessehnen und bröckelnde Menisken vorübergehend zur Ruhe zu bringen. Der Wille, uns noch schöner, schlanker, schneller zu machen, schaltet das Hirn oftmals ab.
    Die Eitelkeit ist eine immense Triebfeder. Fitness-Studio, Stadtwald, Techno-Tanz – gerade im Sommer tobt die bauchfreie Bodyshow. Und kein Ende in Sicht. Selbst die magerste Aerobic-Dame, auch der dickste Bizeps können sich in ellenlangen Vorträgen darüber ergehen, wo noch zehn Gramm hin oder weg müssen. Läufer und Radfahrer sind ähnlich fixiert auf ihre Waden. Alles was Spaß macht, kann halt schnell pathologisch werden. Wo aber hört Fitness auf, wo fängt Irrsinn an?
    Den Feldzug gegen mich selbst habe ich geführt, ohne die Mechanismen zu kapieren. Es begann stets mit großen Plänen im Winter, mündete in eifriges Training im Frühjahr und endete zuverlässig im Stillstand. Ich habe enge Grenzen, was Verbesserungen angeht. Um dieses Plateau der Stagnation zu verlassen, müsste ich überproportional viel trainieren, abnehmen, kurz: mein Leben radikal verändern. Im Sinn der Mehrziel-Optimierung ist das nicht. Ohne einen Trainer, der dieses Dilemma erkennt, bezahlt man Misserfolge mit Verletzungen und schlechter Laune. Mit eisernem Willen habe ich mich zu Wettbewerben geprügelt, die ich lieber hätte lassen sollen. Was blieb, waren Überlastung und Verschleiß. Die oberste Regel guten Bewegens aber lautet: Wohlbefinden an Körper, Geist und Seele.
    Beim Berliner Halbmarathon 2011 ist mir klar geworden, was ich da treibe und wer dafür verantwortlich ist: kein Trainer, keine Gesellschaft, keine Medien, sondern ich allein. Bei Kilometer 19,5, also wenige Minuten vor dem Ziel, sah ich auf dem Mittelstreifen einige
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