Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Im Schatten der Königin: Roman

Im Schatten der Königin: Roman

Titel: Im Schatten der Königin: Roman
Autoren: Tanja Kinkel
Vom Netzwerk:
Kapitel 1
    Montag, 9. September 1560
    G ott vergebe mir, aber das Erste, was ich dachte, als Robin Dudley mir sagte, seine Gemahlin sei tot, war: Warum jetzt?
    Für mich und die Meinen war es eine gute Zeit, und eine, auf die wir lange hatten warten müssen. Seit meine Base Jane vor vierzig Jahren John Dudley geheiratet hatte, waren wir miteinander im Rad der Fortuna gefangen gewesen und hatten uns nicht mehr lösen können, ganz gleich, ob es uns hoch oder abwärts trug.
    Ich wurde an Janes Hochzeitstag geboren, und sie hat das immer als Grund gesehen, sich wie eine Patin um mich zu kümmern. Da meine eigene Mutter von Fehlgeburt zu Fehlgeburt immer schwächer wurde und starb, noch ehe ich acht Jahre alt war, gab es lange Zeit niemanden, der für mich so wichtig war wie Jane.
    Es gab einen Lehrer, John Ferlingham, der mich bis aufs Blut quälte. Es bereitete ihm offensichtlich Spaß, bei jedem noch so kleinen Fehler, den ich im Unterricht machte, seinen Rohrstock auf meinem nackten Hintern tanzen zu lassen. Doch schlimmer als der Stock war es, seine Hände auch dort zu spüren. Ich wusste damals noch nichts davon, dass manche Männer es auch mit Jungen treiben wollten, aber mir war klar, dass irgendetwas nicht stimmte. Sosehr ich es auch versuchte, ich fand keine Ausrede, die mich davor schützte, nach der Schule zu ihm zu gehen, um meine Gebete mit ihm zu sprechen, wie er das wünschte. Mein Vater bemerkte nichts; eine Tracht Prügel zur rechten Zeit habe noch niemandem geschadet, so lautete seine Überzeugung, die er noch von seinem Urgroßvater hatte, der über Jahrzehnte Sheriff von Shropshire gewesen war. Ich wäre damals lieber gestorben, als ihm einzugestehen, dass ich nicht Angst vor den Schlägen hatte, sondern vor den Händen des Lehrers an meinem Arsch. Jane dagegen gab sich nicht damit zufrieden, meine wirkungslosen Ausreden als kindliche Bockigkeit abzutun. Es gelang ihr, die Wahrheit aus mir herauszulocken.
    »Das, was er tut, ist Unrecht«, sagte sie mit ernster Stimme.
    Ich spürte, dass ich den Tränen nahe war. »Ich … ich kann nichts dagegen tun.«
    »Nun, Tom, nicht jedes Unrecht kann aus der Welt geschafft werden – aber das heißt nicht, dass man es nicht versuchen muss.«
    Mein Vater konnte sich keinen persönlichen Lehrer leisten, das wusste Jane, und ihr war auch klar, dass er ein Angebot ihrerseits, für einen Lehrer zu zahlen, nicht angenommen hätte; mein Vater war ein stolzer Mann. Ihr war auch bewusst, dass er mir nie verziehen hätte, wenn sie mit mir zu einer Amtsperson gegangen wäre; er hätte es als den Versuch seines Sohnes gesehen, sich mit einer besonders abenteuerlichen Lüge vor dem Unterricht zu drücken und Schande über seinen Namen zu bringen. Also brachte Jane einen gelehrten Schützling ihres Gemahls dazu, sich in meinem Heimatort Kidderminster niederzulassen und der Gemeinde seine Dienste als zweiter Lehrer anzubieten. Dann gab sie mir einen Rat bezüglich Master Ferlinghams.
    Nachdem ich sein Haus über viele Abende beobachtet und durch das Fenster gesehen hatte, was er dort mit anderen Jungen tat, lief ich zum nächsten erreichbaren Mitglied des Stadtrats und bat ihn, meine Base Jane bei Mr.Ferlingham zu treffen, just zu dem Zeitpunkt, als der sich am kleinen Nick zu schaffen machte. Mr.Ferlingham hat das nicht lange überlebt.
    Das Gefühl, sich durch eigenes Handeln gegen ein Unrecht wehren zu können, war weit befriedigender als die Aussicht, nicht länger von Ferlingham verprügelt zu werden. Damals schwor ich mir, meiner Base Jane immer zu helfen, sollte sie jemals in Not geraten, koste es, was es wolle.
    Nicht, dass es in meiner Jugend danach aussah, als ob Jane meine Hilfe je brauchen würde. Ihr Gemahl war zwar der Sohn eines hingerichteten Verräters, aber er arbeitete sich Schritt für Schritt an die Spitze des Königreichs hoch: John Dudley zeichnete sich auf dem Feld und zur See aus, fand mit viel Geschick die richtigen Förderer zur richtigen Zeit – von Kardinal Wolsey über Thomas Cromwell bis zum König selbst – und wurde schließlich zum Herzog von Northumberland und mächtigsten Mann im Königreich.
    Der einzige Kummer, den Jane in dieser Zeit hatte, war, dass nicht alle ihrer dreizehn Kinder überlebten. Anders als meine eigene Mutter erholte sie sich jedoch sehr schnell von jeder Geburt. Trotz der sieben Kinder, denen es gelang, heranzuwachsen, fand sie auch immer noch Zeit für mich. »Du bist eigentlich mein Ältester, Tom«, pflegte
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher