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Betty kann alles

Titel: Betty kann alles
Autoren: Betty McDonald
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Reiter auf Snoopers Rücken um den Hof gejagt, aber der Höhepunkt des Programms sollte erst kommen. Er bestand in Cleves Seiltanzakt, wobei das Seil durch den Balken ersetzt wurde, der unsere Kellertür stützte. Der Balken war nur ungefähr zwei Meter lang, aber die Kellerstiege war sehr steil und sehr dunkel, und es gab nichts, woran man sich hätte halten können.
    «Will nicht», erklärte er dickköpfig. «Aber Cleve», schmeichelten Mary und Marjorie, «möchtest du denn nicht als das mutigste Kind in der ganzen Nachbarschaft berühmt werden?»
    «Nein», erwiderte Cleve ohne zu zaudern und tätschelte Snooper. «Schau, Cleve, ich mache es dir vor», und Mary tänzelte mit langen, beschwingten Schritten über den Balken, vor und zurück und wieder vor. Es sah wirklich nicht so schlimm aus. «Warum tust du's denn nicht selbst für den Zirkus?» erkundigte sich Cleve mißtrauisch. «Weil ich doch der Ansager bin. Man kann nicht Ansager und Akrobat sein», entgegnete Mary. «Und warum macht's Marjorie dann nicht?» fragte Cleve weiter. «Weil Marjorie die Billette abnehmen muß.» Mary war nicht um Antworten verlegen. «Du und Betty, ihr seid die Artisten. Also komm jetzt, mach keine Geschichten.» «Ich will nicht», bockte Cleve. Daraufhin versprachen Marjorie und Mary, ihm fünfundzwanzig Cents von den Einnahmen zu schenken, und das gab den Ausschlag. Für fünfundzwanzig Cents konnte man dreißig Zuckerstengel kaufen. Für fünf Cents gab es deren sechs, und für Zuckerstengel waren wir zu allem bereit.
    «Meine Daaamen und Herrrren!» hub Mary mit weittragender Stimme an. «Sie werden nun diesen kleinen Jungen sehen, wie er auf einem Seil todesmutig diese dunkle, tiefe Schlucht überquert, in der es von Schlangen wimmelt.» Sie deutete mit dramatischer Geste auf Cleve, der oben am Ende des Balkens bereitstand und sich an der geöffneten Kellertüre festhielt. Die fünfundzwanzig Cents hielt er fest umklammert in seiner Faust. Zweifelnd blickte er erst auf Mary und dann auf den schmalen Balken vor sich. Marys geniale Ausschmückung von den in dunkler Tiefe wimmelnden Schlangen war nicht dazu angetan, seinen Unternehmungsgeist anzustacheln. Aller Augen waren auf ihn gerichtet, als er sich plötzlich entschloß, den Seiltanzakt doch nicht auszuführen. Er setzte sich nieder und traf Anstalten, die Kellertür hinunterzuklettern auf den sicheren Erdboden.
    «Schauen Sie, meine Daaamen und Herrren», fuhr Mary mit gesteigerter Lautstärke fort «Dieser kleine Junge hat sich herumgedreht, damit er die sich windenden, grauenhaften Schlangen in der düsteren Tiefe nicht sieht. Doch er ist der mutigste Seiltänzer der ganzen Welt, und er wird jetzt auf diesem Balken die gefährliche Tiefe überschreiten – sonst kriegst du die fünfundzwanzig Cents nicht», zischte sie sotto voce Cleve zu.
    Cleve sah erst die fünfundzwanzig Cents an und dann den Balken. Schließlich faßte er sich ein Herz und machte sich daran, den Seiltanzakt auszuführen. Seine dicken Beinchen schwankten bedenklich, und seine Arme rotierten in der Luft wie Windmühlenflügel, als er sieh bemühte, Gleichgewicht zu halten. Genau in der Mitte des Balkens und gerade, als Mutter heimkam, fiel er hinunter und landete mit dem Rücken auf der Kellertreppe.
    Mutter trug ihn sofort ins Haus und steckte ihn in ein heißes Bad, und als der Arzt kam, prüfte er Cleves Reflexe und sagte, es sei alles in Ordnung und Cleve habe keine inneren Verletzungen erlitten; aber es dauerte doch eine geraume Weile, bis mein kleiner Bruder wieder dazu zu bringen war, an der Ausführung irgendeines der vielen verrückten Pläne Marys teilzunehmen. Seine ablehnende Haltung versteifte sich noch, als er entdeckte, daß er beim Fallen die fünfundzwanzig Cents verloren hatte und sie nicht mehr finden konnte.
    Ich muß leider feststellen, daß ich damals kein besonders intelligentes Kind gewesen bin, denn kaum ein Jahr nach dem Vorfall mit Cleve – ich war sieben Jahre damals – überredeten Mary und Marjorie mich, vom Heuboden über unseres Nachbarn Stall auf einen Heuhaufen hinunterzuspringen, den sie achtlos über einem Rechen zusammengefegt hatten.
    Wir spielten damals mit Vorliebe Varieté, da Mary und Marjorie vor kurzem zum erstenmal ins Varieté mitgenommen worden waren und nun, unterstützt von dem sagenhaften Joe Doner, Wunderdinge von dort erzählten. Besondere Attraktionen waren anscheinend der Vogelmensch und der Mann, der Stahlkugeln auf den Ohren balancierte,
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