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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug
Autoren: Robert Trivers
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manipulieren kann. Ein wichtiges Konzept ist dabei die aufgezwungene Selbsttäuschung, bei der wir die Selbsttäuschung vollziehen, zu der andere uns gezwungen haben. Der Gedanke, Selbsttäuschung könne sich in der Evolution ausschließlich als Schutzmaßnahme entwickelt haben, durch die wir uns besser fühlen können, wird behandelt und widerlegt; damit lassen wir einen gewissen Spielraum für eine Selbsttäuschung, die dem Ich unmittelbar nützt (ohne dass andere getäuscht werden). Ein interessantes Beispiel ist in diesem Zusammenhang der Placeboeffekt.
    Ganz besonders gelten solche Prinzipien für familiäre und sexuelle Interaktionen (Kapitel 4 und 5 ). In beiden Fällen geht es um Konflikt und Kooperation im Zusammenhang mit der Fortpflanzung, dem zentralen Ziel unseres Lebens. Die Wechselbeziehungen in der Familie können zu einem gespaltenen Ich führen, in dem die mütterliche und die väterliche Hälfte in Konflikt geraten; die Folge ist eine Art »Täuschung der Ichs« zwischen den beiden Hälften. Ebenso sind sexuelle Beziehungen, von der Partnerwerbung bis zur lebenslangen Partnerschaft, mit Konflikten – und mit Täuschung und Selbsttäuschung – belastet.
    Darüber hinaus besteht eine enge Verbindung zwischen unserem Immunsystem und unserer Psyche; deshalb hat Selbsttäuschung häufig wichtige Auswirkungen auf die Immunfunktion, und das müssen wir in Rechnung stellen, wenn wir die biologischen Auswirkungen unseres Geisteslebens in vollem Umfang begreifen wollen (Kapitel 6 ). Wie uns das große Fachgebiet der Sozialpsychologie zeigt, verfälscht unser Geist die Informationen von vorne bis hinten – von anfänglicher Vermeidung über falsche Codierung, Erinnerung und Logik bis hin zu Falschaussagen gegenüber anderen (Kapitel 7 ). Zu den wichtigsten Mechanismen gehören dabei Leugnen, Projektion und das ständige Bemühen, kognitive Unstimmigkeiten zu verringern.
    Die Analyse der Selbsttäuschung wirft Licht auf das Alltagsleben, ganz gleich, ob wir unsere Erkenntnisse auf persönliche Erfahrungen stützen oder auf unbewusst ablaufende Prozesse, die sich nur durch sorgfältige Untersuchungen erhellen lassen (Kapitel 8 ). Ein Beispiel dafür, dem ich ein ganzes Kapitel widme, sind Abstürze von Flugzeugen und Raumfahrzeugen: Sie erlauben es, die Selbsttäuschung eingehend und unter nahezu kontrollierten Bedingungen zu untersuchen (Kapitel 9 ).
    Selbsttäuschung ist eng verflochten mit falschen historischen Darstellungen, das heißt mit Lügen, die wir uns selbst – meist im Dienste der Selbstentschuldigung oder -verherrlichung – über unsere Vergangenheit erzählen (Kapitel 10 ). Selbsttäuschung spielt eine große Rolle für den Ausbruch irregeleiteter Kriege (Kapitel 11 ) und steht in einer wichtigen Wechselbeziehung mit der Religion, die sowohl ein Gegenmittel gegen die Selbsttäuschung als auch ihr Verstärker sein kann (Kapitel 12 ). Kaum verwunderlich ist auch die Feststellung, dass nichtreligiöse Gedankengebäude, von der Biologie über die Wirtschaftswissenschaften bis zur Psychologie, von Selbsttäuschung betroffen sind; dabei gilt die Regel: Je stärker ein Fachgebiet sich mit der Gesellschaft beschäftigt, desto mehr wird seine Entwicklung durch Selbsttäuschung verlangsamt (Kapitel 13 ). Und schließlich können wir jeder für sich entscheiden, ob wir unsere eigene Selbsttäuschung bekämpfen oder ob wir in ihr schwelgen wollen. Ich habe mich entschlossen, sie in mir zu bekämpfen – mit bisher sehr begrenztem Erfolg (Kapitel 14 ).
    Täuschung ist überall
    Täuschung ist ein sehr tief verwurzelter Bestandteil des Lebens. Sie kommt auf allen Ebenen vor – vom Gen über die Zelle und das Individuum bis zur Gruppe – und scheint ganz und gar notwendig zu sein. In der Regel entzieht sich die Täuschung dem Blick, und sie zu untersuchen ist schwierig. Noch schlimmer steht es mit der Selbsttäuschung, die sich in den Tiefen unseres unbewussten Geistes verbirgt. Manchmal muss man das Thema überhaupt erst aufspüren, bevor man es studieren kann, und angesichts komplizierter Ausreden und unserer Unkenntnis über die inneren physiologischen Mechanismen der Selbsttäuschung fehlen oftmals entscheidende Belege.
    Wenn ich sage, dass Täuschung auf allen Ebenen des Lebens vorkommt, meine ich damit, dass Viren sie ebenso praktizieren wie Bakterien, Pflanzen, Insekten und ein breites Spektrum anderer Tiere. Sie ist überall. Selbst innerhalb unseres Genoms gedeiht die Täuschung:
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