Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug
Autoren: Robert Trivers
Vom Netzwerk:
Reaktion – beispielsweise auf Kälte – erfinden oder unterdrücken sollen, gelingt ihnen die Unterdrückung besser als die Erfindung – da neigen sie zur Übertreibung.
    Kognitive Belastung : Lügen ist kognitiv anspruchsvoll. Man muss die Wahrheit unterdrücken und eine falsche Aussage konstruieren, die auf den ersten Blick plausibel erscheint und weder den vorhandenen Kenntnissen des Zuhörers widerspricht noch den Dingen, die er wahrscheinlich wissen wird. Man muss sie überzeugend vorbringen und sich selbst an die Geschichte erinnern. Das erfordert in der Regel Zeit und Konzentration; beide können sekundäre Indizien liefern und die Leistungsfähigkeit bei gleichzeitig ausgeführten Tätigkeiten verringern.
    Die kognitive Belastung ist offenbar unter den drei genannten Variablen die entscheidende, während Selbstbeherrschung nur eine geringe und Nervosität eine sehr geringe Rolle spielt. Dies scheint zumindest für echte kriminalistische Ermittlungen zu gelten, aber auch für experimentelle Situationen, in denen solche Ermittlungen nachgestellt werden. Von gut einstudierten Lügen einmal abgesehen, müssen Menschen, die lügen, genau nachdenken, und das hat mehrere Wirkungen, von denen manche genau das Gegenteil von Nervosität sind.
    Ein Beispiel ist das Blinzeln. Wenn wir nervös sind, blinzeln wir häufiger mit den Lidern, bei steigender kognitiver Belastung (beispielsweise, wenn wir Rechenaufgaben lösen) geht die Häufigkeit des Blinzelns zurück. Neuere Studien legen die Vermutung nahe, dass wir weniger blinzeln, wenn wir täuschen – das heißt, die kognitive Belastung behält die Oberhand. Nervosität lässt uns fahriger werden, kognitive Belastung hat die umgekehrte Wirkung. Tatsächlich sind Menschen entgegen der üblichen Erwartung in Täuschungssituationen häufig weniger fahrig. So gestikulieren Männer, die täuschen, weniger mit den Händen, und beide Geschlechter legen beim Sprechen häufig längere Pausen ein, wenn sie ihre Gegenüber täuschen wollen. Ein absurdes Beispiel hierfür spielte sich neulich auf meinem Anwesen in Jamaika ab, als ich einen jungen Mann befragte, der gerade auf einem Motorrad eingetroffen war und (nach meiner Ansicht) die Absicht hatte, mich entweder um Geld zu erpressen oder auszurauben. Ich erkundigte mich nach seinem Namen. »Steve«, erwiderte er. »Und Ihr Nachname?« Pause. »Eigentlich sollte es nicht lange dauern, sich an seinen Nachnamen zu erinnern.« Und so schnell, wie man »Jones« sagen kann, sagte er »Jones«. Er hieß also angeblich »Steve Jones«, ein nicht ganz ungewöhnlicher Name in Jamaika, aber das Gesicht ließ ihn weniger glaubwürdig erscheinen als der Name selbst. Wie sich herausstellte, lautete sein wirklicher Name Omar Clarke. Die kognitive Belastung hatte ihn verraten. Neuere Arbeiten zeigen, dass vor einer Lüge keineswegs immer eine Verzögerung eintritt. 6 Es hängt vielmehr 6 von der Art der Lüge ab. Leugnen geht häufig schneller, als die Wahrheit zu sagen, und das Gleiche gilt für gut einstudierte Lügen.
    Auch Bemühungen, sich zusammenzunehmen, können die Täuschungsabsicht verraten. Ein hübsches Beispiel ist die Tonlage der Stimme. Täuschende sprechen in der Regel mit höherer Stimme. Das lässt sich allgemein beobachten und ist ganz natürlich, wenn jemand unter Stress steht oder versucht, Verhaltensweisen durch eine starrere Haltung zu unterdrücken. Wenn man den Körper anspannt, gerät die Stimme zwangsläufig in eine höhere Tonlage, und die Spannung steigt umso mehr, je näher der Lügner dem entscheidenden Wort kommt. Wenn jemand beispielsweise eine sexuelle Beziehung zu »Sherri« leugnet, kann man unter Umständen hören, wie die Stimme steigt, wenn der entscheidende Name erwähnt wird: »Du glaubst, ich hätte etwas mit SHERRI .« Nun, bislang habe ich das nur vermutet, aber jetzt hast du mir einen Beweis dafür geliefert.
    Die Unterdrückung der Wahrheit kann auch zu Übersprunghandlungen führen. Wie in den klassischen Beschreibungen anderer Tiere geht es dabei um unwichtige Tätigkeiten, die häufig dann verrichtet werden, wenn zwei gegensätzliche Handlungsimpulse gleichzeitig angesprochen werden. Da keiner der beiden sich entfalten kann, wird die aktivierte, aber blockierte Energie umgeleitet in unwichtige Verhaltensweisen wie etwa ein Zucken. Aus diesem Grund weisen Übersprunghandlungen bei Primaten zuverlässig auf Stress hin. Einmal versuchte ich beispielsweise, einer Freundin in einer Bar eine
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher