Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug
Autoren: Robert Trivers
Vom Netzwerk:
hinzu.
    Das übermäßige Selbstvertrauen hat ein höchst beunruhigendes Merkmal: Offensichtlich verhält es sich häufig umgekehrt proportional zu den Kenntnissen – das heißt, je weniger jemand weiß, desto größer ist sein Selbstvertrauen. 9 Das gilt auch, wenn man der Öffentlichkeit Fragen nach dem Allgemeinwissen stellt. Manchmal schwankt das Phänomen auch mit Alter und beruflicher Stellung: Oberärzte beispielsweise haben häufiger unrecht und sind sich sicher, dass sie recht haben – insbesondere bei Chirurgen eine potentiell tödliche Kombination. Ein anderer Fall mit tragischen Folgen sind Augenzeugenberichte: Zeugen, die bei Gegenüberstellungen unrecht haben, sind stärker davon überzeugt, recht zu haben, und das wiederum beeinflusst die Richter in ihrem Sinne. Warum dies so ist, konnte man bisher nicht im Einzelnen klären. Möglicherweise liegt es daran, dass eine rationale Einstellung gegenüber der Welt zahlreiche Grautöne beinhaltet und Widersprüche integrieren kann, was dann zu Zögern und mangelnder Selbstsicherheit führt. Eine einfache Abkürzung besteht dann darin, die Unkenntnis mit unverhohlener Bestätigung der Unkenntnis zu verbinden: Man zeigt keine Anzeichen für rationale Überlegungen, aber – noch wichtiger – auch keine Anzeichen von Selbstzweifeln oder Widersprüchen.
    Neun Kategorien der Selbsttäuschung
    Wir beginnen mit einfachen Fällen der Selbstüberschätzung und der Verächtlichmachung anderer. Wir betrachten die Auswirkungen von Gruppen- und Machtgefühlen sowie der Illusion, alles unter Kontrolle zu haben. Und schließlich untersuchen wir falsche Gesellschaftstheorien, falsche innere Erzählungen und unbewusste Module als zusätzliche Ursachen der Selbsttäuschung.
    Selbstaufplusterung ist im Leben die Regel
    Tiere plustern sich in aggressiven Situationen regelmäßig auf (Größe, Selbstvertrauen, Farbe), aber auch bei der Partnerwerbung (mit den gleichen Variablen). Auch in unserem Gefühlsleben ist Selbstaufplusterung die vorherrschende Taktik; gelegentlich tritt bei Tieren und Menschen aber auch die Strategie der anpassungsorientierten Selbsterniedrigung in Erscheinung (siehe Kapitel 8 ). Zu einem großen Teil findet die Selbstaufplusterung im Dienste der »Wohlwirksamkeit« statt, wie ein Psychologe sie treffend nannte – man möchte anderen gegenüber sowohl wohlwollend als auch wirkmächtig erscheinen. 10 Häufig spielen dabei subtile sprachliche Aspekte eine Rolle. Einen positiven Gruppeneffekt beschreiben wir mit einer energischen Stimme, handelt es sich dagegen um einen negativen Effekt, wechseln wir unbewusst in einen passiven Tonfall: Erst geschah dies und dann geschah das und dann hatten wir alle die Kosten zu tragen. Ein geradezu klassisches Beispiel hierfür war der Mann, der 1977 in San Francisco mit seinem Auto gegen einen Mast fuhr und anschließend laut Polizeibericht behauptete: »Der Telefonmast kam näher. Ich habe versucht, ihm auszuweichen, aber dann hat er meinen Kühler getroffen.« Eine solche Äußerung ist völlig legitim, sie gibt aber dem Telefonmast die Schuld. Die Selbstvoreingenommenheit erstreckt sich in alle Richtungen. Fragt man BMW -Besitzer, warum sie gerade diese Automarke fahren, so werden sie behaupten, es habe nichts damit zu tun, dass sie andere beeindrucken wollten; gleichzeitig sind sie aber der Ansicht, dass andere einen solchen Wagen genau aus diesem Grund besitzen.
    Die Selbstaufplusterung führt regelmäßig dazu, dass Menschen sich in die obere Hälfte positiver Verteilungen und in die untere Hälfte negativer Verteilungen einstufen. In den Vereinigten Staaten sehen sich 80 Prozent der Highschool-Schüler in der oberen Hälfte aller Schüler, was ihre Führungsqualitäten angeht. 11 In Wirklichkeit ist das natürlich nicht möglich. Aber kaum zu schlagen ist die Selbsttäuschung der Akademiker. In einer Umfrage stuften sich 94 Prozent in die obere Hälfte ihres Berufsstandes ein. Ich bekenne mich schuldig. Man könnte mich an ein Bett auf einer abgelegenen Station irgendeines Krankenhauses fesseln, und ich würde immer noch glauben, dass ich bessere Leistungen erbringe als die Hälfte meiner Kollegen – und damit mache ich nicht nur einen Kommentar über meine Kollegen.
    Wenn wir erklären, wir gehörten zu den obersten 70 Prozent der gutaussehenden Menschen, ist das vielleicht nur ein Lippenbekenntnis. Aber wie steht es mit unseren tiefer gehenden Ansichten? Verblüffende Ergebnisse liefert eine neue
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher