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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug
Autoren: Robert Trivers
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kleine Lüge aufzutischen, und dabei konnte ich zusehen, wie mein linker Arm unwillkürlich zuckte. Da wir uns schon seit einiger Zeit regelmäßig trafen, wandte sie den Blick sofort dem zuckenden Arm zu. Ein paar Monate später waren wir in der gleichen Situation, dieses Mal allerdings mit vertauschten Rollen. Wäre es ein Tennismatch gewesen, der Schiedsrichter hätte in beiden Fällen gesagt: »Vorteil Gegner.«
    Fast immer wird Nervosität sowohl von jenen, die eine Täuschung erkennen wollen, als auch von denen, die diese Erkennung zu vermeiden trachten, als relevanter Faktor genannt. Da überrascht es, dass Nervosität wissenschaftlichen Befunden zufolge nur ein schwaches Indiz für eine Täuschungsabsicht ist. Das liegt unter anderem daran, dass die Versuchspersonen in vielen Experimenten nicht nervös werden, weil sie keine negativen Konsequenzen zu befürchten haben, wenn die Täuschung durchschaut wird. Aber auch im wirklichen Leben (zum Beispiel bei polizeilichen Ermittlungen) kann der Verdacht, wir würden lügen, uns nervös machen, ganz gleich, ob wir tatsächlich lügen oder nicht. Und was vielleicht noch wichtiger ist: Da wir uns unserer Nervosität als Faktor bewusst sind, sind die Unterdrückungsmechanismen unter Umständen nahezu genauso gut entwickelt wie die Nervosität selbst; das gilt insbesondere für abgebrühte Lügner. Und wie wir zuvor bereits erfahren haben, hat die kognitive Belastung, die mit dem Lügen einhergeht, häufig eine der Nervosität entgegengesetzte Wirkung.
    Entscheidend ist an der kognitiven Belastung (und an der Stimmlage), dass es kein Entkommen gibt. Wenn die Unterdrückung der Nervosität die Stimmlage steigen lässt, wird sie noch weiter ansteigen, wenn man versucht, diesen Effekt zu unterdrücken. Zu lügen ist kognitiv aufwendig und es gibt keinen naheliegenden Weg, den Aufwand zu verringern, es sei denn, man verstärkt die unbewusste Kontrolle. Die Mechanismen des Leugnens und der Unterdrückung können zwar den unmittelbaren Aufwand verringern, ziehen aber später weitere Kosten nach sich.
    Darüber hinaus hat die kognitive Belastung wichtige Auswirkungen auf ein breites Spektrum psychologischer Prozesse. Hier gilt die Regel: Je größer die kognitive Belastung, desto wahrscheinlicher ist es, dass die unbewussten Prozesse offengelegt werden. Unter kognitiver Belastung platzen Menschen beispielsweise häufiger mit etwas heraus, das sie am liebsten verschweigen würden, und sie äußern auch häufiger Vorurteile, die sie ansonsten verbergen. 7 Kurz gesagt, bewirkt die kognitive Belastung mehr, als nur unsere Reaktionen zu verlangsamen – sie legt auch auf ganz verschiedene Weise die unbewussten Prozesse frei. Diese herrschen vor, wenn die bewusste Kontrolle wegen der kognitiven Belastung auf ein Minimum zurückgeht.
    Auch die verbalen Details von Lügen können aufschlussreich sein. Wie in hervorragenden, durch Computeranalysen unterstützten Forschungsarbeiten gezeigt wurde, haben Lügen mehrere gemeinsame sprachliche Merkmale. Wir gebrauchen seltener die Worte »ich« und »mich« und nutzen stattdessen verstärkt andere Pronomina, als wollten wir unsere Lüge verleugnen. Ebenso vermindern wir den Gebrauch von Einschränkungen wie »obwohl«. Dies macht die Lüge stromlinienförmiger und verringert sowohl die augenblickliche kognitive Belastung als auch die Notwendigkeit, uns später genau zu erinnern. Ein ehrlicher Mensch erzählt vielleicht: »Obwohl es geregnet hat, bin ich ins Büro gegangen«; der Lügner sagt nur: »Ich bin ins Büro gegangen.« Negativ besetzte Begriffe kommen häufiger vor, vielleicht aus Schuldgefühlen oder weil Lügen häufiger mit Leugnen und Verneinen zu tun haben.
    Zu messen, wie häufig Lügen im Alltag durchschaut werden, ist schwierig. In den Vereinigten Staaten zeigen Umfragen, dass die Befragten glauben, ihre Lügen würden in 20 Prozent der Fälle durchschaut und in weiteren 20 Prozent vielleicht durchschaut. 8 Von den verbleibenden 60 Prozent der Lügen, die nach ihrer Ansicht erfolgreich waren, könnten manche natürlich durchschaut worden sein, wobei aber derjenige, der sie durchschaut hat, diese Tatsache für sich behalten hat.
    Selbsttäuschung ist älter als Sprache
    Wie tief ist das Thema, über das wir hier sprechen, biologisch verwurzelt? Manch einer hält die Selbsttäuschung fast definitionsgemäß für ein typisch menschliches Phänomen, weil das »Selbst« auf das Vorhandensein einer Sprache schließen lässt. Es
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