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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug
Autoren: Robert Trivers
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beginnen und nach Seitenzahl und Inhalt aufgeschlüsselt sind. Hier und da nenne ich Literaturangaben zu einschlägigem Material. Vollständige Quellenangaben stehen im Literaturverzeichnis.
    Am Aufbau einer Wissenschaft der Selbsttäuschung kann jeder mitarbeiten. Jeder kann etwas dazu beitragen. Die Logik ist denkbar einfach, und die Aussagen sind in den meisten Fällen leicht nachzuvollziehen. Überall werden wir auf dieses Thema gestoßen, und seine vielen Teilbereiche führen uns in alle Winkel des menschlichen Lebens.

Kapitel 1
    Die evolutionäre Logik
der Selbsttäuschung
    Anfang der 1970 er Jahre war ich eifrig mit der Konstruktion einer Gesellschaftstheorie beschäftigt, die sich auf die natürliche Selektion stützte. Ich wollte die Evolution unserer grundlegenden zwischenmenschlichen Beziehungen verstehen – Eltern/Kinder, Männer/Frauen, Verwandte/Freunde, Gruppenmitglieder/Außenstehende und so weiter. Die natürliche Selektion ist der Schlüssel zum Verständnis der Evolution und die einzige Theorie, die eine Antwort auf die Frage gibt, zu welchem Zweck ein Merkmal gestaltet ist. Mit natürlicher Selektion meint man die Tatsache, dass manche Individuen einer Spezies mehr Nachkommen hinterlassen als andere, so dass die genetischen Merkmale derer, die sich am erfolgreichsten fortpflanzen, im Laufe der Zeit häufiger werden. Da bei diesem Prozess Gene zusammengefügt werden, die mit einem hohen Fortpflanzungserfolg (das heißt einer hohen Zahl überlebender Nachkommen) gekoppelt sind, rechnet man damit, dass alles Leben entsprechend organisiert ist, sich also alle Wesen darum bemühen, möglichst viele Nachkommen in die Welt zu setzen. Und weil es sich bei den Vermehrungseinheiten tatsächlich um Gene handelt, nimmt man auch an, dass Gene ihre eigene Fortpflanzung fördern.
    Auf das Sozialverhalten angewandt, sagt die natürliche Selektion eine Mischung widersprüchlicher Gefühle und Verhaltensweisen voraus. Im Gegensatz zu einer früher (und manchmal auch noch heute) weit verbreiteten Ansicht sind die Beziehungen zwischen Eltern und Kindern nicht frei von Konflikten, noch nicht einmal im Mutterleib. 1 Gleichzeitig können Beziehungen auf Gegenseitigkeit leicht von Betrügern (die nichts zurückgeben) ausgenutzt werden; möglicherweise entwickelt sich in der Evolution also ganz von selbst ein Gerechtigkeitsgefühl, das dem Schutz dient. Und schließlich kann man auf der Grundlage der relativen Investition der Eltern – der Zeit und Mühe, die die Elternteile für die Produktion der Nachkommen aufwenden – eine widerspruchsfreie, unvoreingenommene Theorie für die Evolution der Geschlechterunterschiede aufbauen und auch erklären, wie die Selektion sich auf das Geschlechterverhältnis (das heißt die Zahlenverhältnisse der Geschlechter) auswirkt. 2 Solche Arbeiten ermöglichen tiefere Einblicke in die Frage, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein.
    Diese allgemeinen Gesetzmäßigkeiten waren auf die meisten Themen, mit denen ich mich beschäftigte, leicht anzuwenden, aber ein Problem fiel mir auf. Im Kern unseres Geisteslebens scheint es einen erstaunlichen Widerspruch zu geben: Wir bemühen uns um Information und tun dann alles, um sie zu zerstören. Einerseits hat die Evolution uns mit Sinnesorganen ausgestattet, die uns ein erstaunlich detailliertes und zutreffendes Bild der Außenwelt vermitteln – wir sehen die Welt in Farbe und drei Dimensionen, erkennen Bewegung, Konsistenz, nicht zufällige oder eingebettete Muster und eine Fülle anderer Aspekte. Für Gehör und Geruch gilt das Gleiche. Insgesamt sind unsere Sinnesorgane so organisiert, dass sie uns einen detaillierten, präzisen Eindruck der Realität vermitteln, genau wie wir es erwarten, wenn wahre Erkenntnisse über die Außenwelt uns helfen, uns besser darin zurechtzufinden. Aber wenn diese Informationen in unserem Gehirn eintreffen, werden sie häufig verzerrt und von unserem bewussten Geist verfälscht. Wir leugnen uns selbst gegenüber die Wahrheit. Wir projizieren Eigenschaften, die in Wirklichkeit unsere eigenen sind, auf andere – und greifen sie dann an! Wir unterdrücken schmerzliche Erinnerungen, schaffen völlig falsche Erinnerungen, finden rationale Erklärungen für unmoralisches Verhalten, verstärken durch unser Handeln immer wieder unsere positive Selbsteinschätzung und legen ein ganzes Arsenal von Verteidigungsmechanismen für unser Ego an den Tag. Warum?
    Man sollte doch sicher damit rechnen, dass
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