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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug
Autoren: Robert Trivers
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Egoistische genetische Elemente bedienen sich molekularer Täuschungsmethoden, um sich auf Kosten anderer Gene übermäßig stark fortzupflanzen. 3 Täuschung zieht sich durch alle grundlegenden Beziehungen im Leben: Parasit und Wirt, Räuber und Beute, Pflanze und Tier, Mann und Frau, Nachbar und Nachbar, Eltern und Kind, ja sogar die Beziehung eines Organismus zu sich selbst.
    Viren und Bakterien betreiben häufig aktive Täuschung, um sich Zugang zu ihren Wirten zu verschaffen: Sie ahmen beispielsweise Bestandteile des Wirtskörpers nach, um nicht als fremd erkannt zu werden. Oder sie machen es wie HI -Viren und wechseln ihre Hüllproteine so häufig, dass eine dauerhafte Abwehr nahezu unmöglich wird. Viele Raubtiere profitieren davon, dass sie für ihre Beute unsichtbar sind oder Dingen ähneln, die für die Beute attraktiv sind – ein Fisch lässt beispielsweise einen Körperteil wie einen Wurm heraushängen, um damit andere Fische anzulocken, die er dann frisst; umgekehrt profitiert die Beute davon, wenn sie für ihre natürlichen Feinde unsichtbar bleibt oder Dinge nachahmt, die für den Räuber schädlich sind wie beispielsweise giftige Tiere oder Tiere, die ihrerseits den Räuber fressen.
    Innerhalb einer Spezies rechnet man in fast allen Beziehungen mit Täuschung, und diese besitzt besondere Kräfte. Sie übernimmt im Leben stets die Führung, und die Entlarvung der Täuschung begibt sich auf Aufholjagd. Oder, wie man über Gerüchte sagt: Die Lüge ist schon um die halbe Welt, bevor die Wahrheit auch nur die Stiefel angezogen hat. Zeigt sich in der Natur eine neue Täuschung, dann gibt es auf der Welt dafür häufig noch keine angemessene Verteidigung. Tritt sie häufiger auf, findet bei den Opfern eine Selektion auf Verteidigungsmechanismen statt, so dass die Verbreitung der Täuschung irgendwann durch die Entstehung und Ausbreitung von Gegenmaßnahmen zum Stillstand kommt, aber neuen Verteidigungsmechanismen kann man immer entgehen und neue Tricks erfinden.
    Die Wahrheit – oder zumindest die Aufdeckung der Wahrheit – wurde im Laufe der Zeit durch die Verbreitung der Täuschung immer stärker zurückgedrängt. Ich bin immer wieder verblüfft, wenn ich von manchen Wirtschaftswissenschaftlern höre, die Kosten für übermäßige Täuschung (darunter auch Wirtschaftsverbrechen) würden in unserer Wirtschaftsordnung durch die Marktkräfte ganz von selbst im Zaum gehalten. Warum sollte die Spezies Mensch immun gegenüber der allgemeinen Regel sein, dass eine starke natürliche Selektion zugunsten der Täuschung zur Entstehung von Täuschungsmechanismen führen kann, die (im Hinblick auf Überleben und Fortpflanzung) in jeder Generation unter dem Strich beträchtliche Kosten verursachen? Es existiert sicher keine kollektive Kraft, die dieser Täuschung entgegenwirkt, sondern nur die relativ langsame Entstehung und Weiterentwicklung von Gegenstrategien. Diese Zeilen wurden 2006 geschrieben, zwei Jahre bevor solche Praktiken und Überzeugungen zum Finanzkollaps führten. Ich kenne mich in Wirtschaftswissenschaft nicht aus und hätte einen Vorgang wie den Kollaps des Jahres 2008 mit den Prinzipien der Evolution nicht voraussagen können, aber ich bin schon seit 30 Jahren anderer Meinung als eine angebliche Wissenschaft, die als Wirtschaftswissenschaft bezeichnet wird und es vollständig versäumt hat, sich eine Basis in Form gesicherter Kenntnisse zu verschaffen – was für uns alle mit hohen Kosten verbunden ist (Kapitel 13 ).
    Was die Vorstellung angeht, Täuschung würde von Natur aus mit bescheidenem allgemeinem Aufwand eingeschränkt, so braucht man nur einmal die Gespenstschrecken oder Phasmatodea zu betrachten, eine Insektengruppe, die sich darauf spezialisiert hat, entweder Stöcke ( 3000 Arten) oder Blätter ( 30 Arten) nachzuahmen. 4 Diese Lebewesen gibt es schon seit mindestens 50 Millionen Jahren, und sie haben eine bemerkenswert genaue Ähnlichkeit zu ihren Vorbildern erlangt. Für die Formen, die Stöcken ähneln, besteht offenbar ein starker Evolutionsdruck zugunsten eines langen, dünnen (stockähnlichen) Körperbaues, obwohl das Individuum zu seiner Entstehung auf die Vorteile der zweiseitigen Symmetrie verzichten muss. Damit die inneren Organe in einen so engen Raum passen, muss häufig eines von zwei gleichartigen Organen geopfert werden, so dass nur eine Niere, ein Eierstock, ein Hoden und so weiter übrig bleibt. Die Selektion zugunsten einer erfolgreichen Täuschung war also so
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