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Betrug und Selbstbetrug

Betrug und Selbstbetrug

Titel: Betrug und Selbstbetrug
Autoren: Robert Trivers
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besteht aber kein Grund zu der Annahme, dass Selbsttäuschung nicht viel weiter in die Geschichte der Evolution zurückreicht, denn es bedarf dazu keiner Worte. Betrachten wir einmal das Selbstvertrauen, eine individuelle Variable, die andere quantitativ erfassen können. Wir können es aufblasen, um unser Gegenüber zu täuschen, und dieser Vorgang wird durch Selbsttäuschung plausibler. Dies ist ein Aspekt, der vermutlich weit in unsere animalische Vergangenheit zurückreicht.
    In der Natur tragen Tiere ihre Konflikte körperlich aus. Jedes von ihnen bewertet dabei das Selbstvertrauen des Gegners im Vergleich zum eigenen – es ist damit zu rechnen, dass solche Variablen in manchen Fällen über das Ergebnis bestimmen. Innerhalb des Individuums fließen Informationen, die von Voreingenommenheit geprägt sind und falsches Selbstvertrauen verleihen können. Wenn man an die eigene Selbsterhöhung glaubt, bezwingt man den Gegner wahrscheinlich leichter, als wenn man selbst weiß, dass man nur etwas vortäuscht. Nonverbale Selbsttäuschung kann also in Situationen, die von Aggression und Konkurrenz geprägt sind, einen Selektionsvorteil bedeuten, weil man Gegner besser hinters Licht führen kann. Im Wesentlichen das Gleiche kann man auch über die Partnerwerbung zwischen Männern und Frauen behaupten. In manchen Fällen verschafft falsches Selbstvertrauen dem Mann einen Vorteil. Eine überhöhte mentale Vorstellung seiner selbst kann man auch ohne Sprache allein durch Vermutungen erzeugen. Dabei gilt es natürlich zu beachten, dass die Selbsttäuschung in der Regel nur innerhalb plausibler Grenzen der Selbstverherrlichung funktioniert.
    Das alles soll zeigen, dass die Selektion zugunsten der Täuschung in mindestens zwei weitverbreiteten Zusammenhängen – dem aggressiven Konflikt und der Partnerwerbung – ohne weiteres auch die Selbsttäuschung begünstigen kann, selbst wenn keine Sprache beteiligt ist. Darüber hinaus gibt es zweifellos viele weitere solche Zusammenhänge, beispielsweise den zwischen Eltern und ihren Nachkommen. Wie wir außerdem noch genauer erfahren werden, konnte man in jüngster Zeit mit klugen Untersuchungen auch bei Affen Formen der Selbsttäuschung nachweisen, die bei Menschen wohlbekannt sind, darunter den Konsistenzeffekt und die unausgesprochene Bevorzugung von Gruppenmitgliedern; beide Phänomene wurden mit den gleichen Experimenten aufgedeckt, mit denen man sie auch beim Menschen erkennen kann. Und wie wir zudem sehen werden, neigen Männer erwartungsgemäß stärker zu übermäßigem Selbstvertrauen als Frauen, und entsprechend schlechter schneiden Männer in rationalen Situationen wie dem Aktienhandel ab, in denen die Täuschung anderer nur in seltenen Fällen eine Rolle spielt.
    Selbstvertrauen ist eine innere Variable und daher besonders anfällig für Täuschungen. Ich kann meine Größe scheinbar aufblähen, indem ich die Muskeln spielen lasse, aber dies ist für Beobachter relativ leicht zu erkennen, und eine Steigerung meiner offensichtlichen Körpersymmetrie, einer anderen wichtigen Variablen, ist enorm schwierig. Mich selbstsicherer zu geben, als ich bin, ist dagegen einfach und begünstigt die Selektion der Selbsttäuschung, insbesondere wenn das Selbstvertrauen ebenso wichtig wie die augenscheinliche Körpergröße für den Ausgang eines Konflikts ist. Deshalb ist übermäßiges Selbstvertrauen nach meiner Überzeugung – sowohl in unserem persönlichen Leben als auch in Entscheidungen von weltweiter Bedeutung wie beispielsweise der Frage, ob man in den Krieg zieht – eine der ältesten und gefährlichsten Formen der Selbsttäuschung.
    Andererseits wurden die Gelegenheiten für Täuschung und Selbsttäuschung in unserer Abstammungslinie durch die Sprache sicher stark erweitert. Wenn die Möglichkeit, wahre Aussagen über räumlich und zeitlich weit entfernte Ereignisse zu treffen, eine der großen Stärken der Sprache ist, so besteht einer ihrer gesellschaftlichen Nachteile sicher darin, dass man mit ihrer Hilfe auch falsche Aussagen über räumlich und zeitlich weit entfernte Ereignisse machen kann. Ihnen zu widersprechen ist weitaus schwieriger, als wenn es um Aussagen über die unmittelbare Umwelt geht. Wer über Sprache verfügt, hat auch über das eigene Ich und über zwischenmenschliche Beziehungen eine ausdrücklich formulierte Theorie, die er anderen mitteilen kann. Zu einer großen Zahl wahrer Aussagen kommt eine noch größere Zahl falscher Behauptungen
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