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Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)

Titel: Tödliche Seilschaft: Roman (German Edition)
Autoren: Barbara Traber
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Prolog
     
    An einem warmen Junimorgen fuhr
Eva mit dem Zug nach Basel. Alex kam von Frankfurt her mit dem Auto. Sie hatten
vereinbart, sich im Bahnhofsbuffet zu treffen. Mindestens ein halbes Jahr hatten
sie sich nicht gesehen, kannten sich noch kaum. Trotzdem hatte sie zugesagt, den
Sommer mit ihm in Südtirol, der Gegend, von der er ihr vorgeschwärmt hatte und die
er als seine eigentliche Heimat bezeichnete, zu verbringen. Ein Wagnis? Kaum, sie
hielt es für selbstverständlich, denn sie hatte sich verliebt in den wilden Naturburschen
und nahm an, sie würden zusammenbleiben. Für immer und ewig.
    Ihr Herz begann heftig zu klopfen, als sie im hohen Saal des Bahnhofsrestaurants
saß, Kaffee bestellte und auf Alex wartete. Würde er kommen? Worauf hatte sie sich
eingelassen? Auf ein Abenteuer? Und würde sie ihn nach so langer Zeit wiedererkennen,
den mehr oder weniger Unbekannten? Ganz fremd war er nicht, aber was genau wusste
sie über ihn, und weshalb vertraute sie ihm? Sie hatten sich erst zwei Mal gesehen,
sich in Rom ein einziges Mal geküsst und nachher lange Briefe ausgetauscht, bis
sie eingewilligt hatte, mit ihm zu verreisen.
    Plötzlich stand er in der Pendeltür des Restaurants. Sie erkannte ihn
auf den ersten Blick. Er kam etwas zögernd auf sie zu, sah müde, angespannt aus
und erklärte, die Fahrt habe länger gedauert als angenommen, der Bahnhof sei nicht
leicht zu finden gewesen. Umarmte er sie spontan, küsste er sie oder gab er ihr
nur die Hand? Sie konnte sich später nicht mehr an die ersten Momente des Wiedersehens
erinnern, auch kaum mehr, ob sie sich wirklich gefreut oder ihr Herz eher aus lauter
Nervosität und Spannung, einer Art Lampenfieber, heftig geklopft hatte – wie vor
einer Theaterpremiere, in der sie die Hauptrolle spielte und den Text immer noch
nicht auswendig konnte.
    »Und jetzt, wohin gehen wir?«, fragte er.
    »Auf der andern Seite des Bahnhofs könnten wir draußen auf der Terrasse
sitzen«, schlug sie vor.
    Alex! Da war er nun. Endlich. Nach dem wochen-, ja monatelangen Warten
hatte sie ihn vor sich, den Ersehnten, nur aus Briefen Vertrauten. Er erzählte von
der unausstehlichen Hitze in Saudi-Arabien, von seinen letzten Tagen mit dem Auto
kreuz und quer durch Europa, um geschäftliche Angelegenheiten zu erledigen – und
von seiner Vorfreude, sie wieder zu sehen und ihr das Klettern beizubringen.
    Während er lebhaft auf Eva einredete, schaute sie ihn unverwandt an:
schmales, kantiges, energisches Gesicht, blaue Augen, schmaler Mund, zerzaustes
braunes Haar. Hatte sie ihn sich so vorgestellt oder sich ein falsches Bild von
ihm gemacht? Dem Foto, das sie ständig mit sich herumgetragen hatte, sah er jedenfalls
sehr ähnlich. Nur war es jetzt kein Traum mehr, jetzt galt es ernst; sie musste
sich in der nächsten Minute auf den Mann einlassen, der sie fragend, auch etwas
unsicher anschaute. Warum nahm er nicht zärtlich ihre Hand, wie sie das erwartet
oder ersehnt hatte, sondern saß eher steif ihr gegenüber?
    Einen Moment kam er ihr fremder vor als jeder andere Mensch im Lokal,
und Panik ergriff sie. Sollte sie weglaufen – in die Freiheit? War alles nur ein
Missverständnis? Aufstehen, sich entschuldigen, auf die Toilette gehen und nicht
zurückkommen, sondern in den nächsten Zug einsteigen und nach Hause fahren … Blitzschnell
ging ihr das durch den Kopf, und sie musste sich rasch entscheiden: Flüchten oder
standhalten.
    Sie blieb wie angewurzelt sitzen, trotz ihres Zögerns, ihrer leisen
Befürchtung, das Falsche zu tun. Hielt sie Neugier, Abenteuerlust zurück, wollte
sie deshalb die Herausforderung annehmen, sich auf diesen Menschen einzulassen?
Oder war sie nur liebeshungrig, voller Illusionen und ein Stück weit naiv? Vermutlich,
nun Mitte 20, immer noch das junge, verträumte Mädchen, das von einem Happyend träumte,
ein hoffnungsloser Fall. Eine leichte Beute für einen Mann, der seinen Urlaub in
den Bergen nicht allein verbringen wollte.
    Eva setzte alles auf eine Karte. Jetzt gab es kein Zurück mehr, das
wusste sie.

1
     
    Selten fühlt man sich so fremd
wie in einer unbekannten Stadt, in die man nicht gereist ist, um Urlaub oder Ferien
zu verbringen, sondern um zu arbeiten, zu schreiben. Als würde man in eine andere
Welt versetzt. Man sieht alles zum ersten Mal, ist offen für Neues. Nach dem Schleppen
der schweren Koffer und der zehnstündigen Fahrt durch halb Österreich hatte Eva
endlich vor dem modernen, großen Gebäude des Literaturhauses
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