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Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Bernsteinaugen und Zinnsoldaten

Titel: Bernsteinaugen und Zinnsoldaten
Autoren: Joan D. Vinge
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Hand, die sich auf seine Schulter legte.
    „Soldat, bist du’s?“
    Soldat starrte zornig in ein graues Gesicht.
    „Alles klar? Was machste denn hier zur Dämmerstunde, Kumpel?“
    Er erkannte den alten Makerrah, den Fischer, erst nach einer Weile. Es amüsierte den alten Mann neuerdings, ihn „Kumpel“ zu nennen.
    „Nichts, nichts.“ Er trat von der Reling zurück. Die Sonne ging hinter den Bergen auf, die Ausläufer des Nebels glommen in der Farbe des Feuers und wurden weggebrannt. Es würde ein heißer Tag werden. „Leb wohl, alter Mann.“ Er entfernte sich langsam.
    „Sicher, daß alles in Ordnung is’?“
    Wieder allein, setzte er sich und ließ einen Fuß baumeln, während er den Sog des Wassers unter der Pier spürte. In Ordnung …?Wann war jemals alles in Ordnung gewesen? Er versuchte, sich an die Zeit bevor er sie gekannt hatte zu erinnern, konnte aber keine Antwort finden.
    Auch auf seiner eigenen Welt, auf Glatte, hatte es niemals eine Antwort für ihn gegeben. Er war nirgendwo zu Hause gewesen. Glatte mit seiner Vier-Komma-fünf-Technologie und dem neofeudalistischen Gesellschaftssystem, wo die Konkurrenz um diese Technologie immer wieder die Begründung für Kriege lieferte. Sein Leben lang hatte er sein Volk mordend und gemordet gesehen, gefesselt von seinem sinnlosen, blinden Aberglauben. Er hatte es gehaßt, aber er hatte sich nicht von den bitteren Fesseln befreien können, die ihn seinem eigenen Untergang entgegengeführt hatten. Mittlerweile waren nur noch Fragmente dieses früheren Lebens übriggeblieben, die sich auch nach zwei Jahrhunderten noch an der Tatsache seiner Andersartigkeit festklammerten. Er erinnerte sich an den Geschmack neu gefallenen Schnees … und an den Geschmack von Blut. Und dann kam die Erinnerung daran, wie es war, neunzehn Jahre alt zu sein und den Krieg zu hassen, der einen zum Krüppel gemacht hat … und sich plötzlich zur Hälfte mit Prothesen gespickt wiederzufinden, die fehlenden Glieder immer noch schmerzend … und dann die Stimme des Stiefvaters, der mit einem Tonfall, der nicht direkt Stolz beinhaltete, erklärte, du seiest nun endlich zum Mann geworden … Soldat hielt, ohne es zu bemerken, den Atem an. Seine Name war Maris, der dem Krieg Geweihte, und als er endlich den Grund hierfür verstanden hatte, hatte er Glatte für immer verlassen.
    Er gab sein ganzes Geld jener habgierigen Raumfahrerin und wurde in Stasis zwischen den Sternen transportiert wie ein Gepäckstück. Als er erwachte, befand er sich auf Oro, Tech Eins-Kommafünf, keine Kriege und fast keine Bevölkerung. Und dann fand er heraus, daß er für den Rest der Menschheit nicht mehr unbedingt menschlich war. Doch er war sechsundneunzig Jahre allein auf Oro geblieben, in denen er nur um fünf Jahre gealtert war. Sechsundneunzig Jahre. Eine Ansammlung weißer, in einen Hügel gebetteter Gebäude – das unveränderliche Neu Piräus. Eine Ansammlung weißer Gesichter im trüben Laternenlicht – Muster eines neuen Lebens. Ein Muster, das sich endlos wiederholte. Sein Lächeln hieß endlos mit der Geduld der Verdammten willkommen, hieß all die alten/neuen Gesichter willkommen, die ihn zwar brauchten, aber niemals wollten, während er sie alle brauchte und wollte. Und dann war sie nach Oro gekommen, und das Muster war nach sechsundneunzig Jahren aufgebrochen worden. Der verdammte Zinnsoldat hatte sich verliebt – obwohl er es eigentlich besser hätte wissen sollen – in eine Ballerina, die zwischen den Sternen getanzt hatte.
    Er preßte sein Gesicht gegen das Geländer, um den Schmerz zu dämpfen. Großer Gott, es ist immer noch da, und ich dachte, alles wäre Plastik. Verdammt, verdammt … Und er bemühte sich, nicht an weitere dreimal fünfundzwanzig Jahre desselben Musters zu denken, an jedermanns Nächte, denen ein kalter, ernüchternder Morgen folgte, in denen er ihr Gesicht suchte. Einundneunzigtausendeinhundert Tage, um den Schmerz eines wiedergekehrten Lebens mit sich herumzuschleppen, bis sie wiederkommen würde und dann …
    „Siehst du? Das ist unser Schiff, das dritte in der Reihe.“
    Soldat hörte unwillkürlich zu. Eine lavendelfarben gekleidete Raumfahrerin stand mit ihrem Schwanz an einer Biegung des Docks und deutete über die Bucht hinaus.
    „Können wir es uns nicht ansehen?“ Blaues Glas glitzerte auf dem Rücken des Jungen, als er sich vornüber beugte.
    „Wo denkst du hin! Männer werden an Bord der Schiffe nicht geduldet. Das verstößt gegen die
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