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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Autoren: Philip Kerr
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Versuch zu machen, sich zu erbrechen. Dann wurde er wieder bewußtlos. Mir war klar, daß Mutschmann im Sterben lag.
    Abgesehen vom Arzt, der Mendelssohn hieß, und drei oder vier Sanitätern, die selber an einer Vielzahl von Krankheiten litten, befanden sich etwa sechzig Männer und Frauen im Lagerkrankenhaus. Wie Krankenhäuser nun mal sind, war es kaum mehr als ein Leichenhaus. Ich erfuhr, daß es nur zwei Arten von Patienten gab: die Kranken, die in jedem Fall starben, und die Verletzten, die manchmal ebenfalls schwer krank wurden.
    An diesem Abend, bevor es dunkel wurde, kam Mendelssohn, um nach meinen Striemen zu sehen.
    «Am Morgen werde ich Ihr Hinterteil waschen und noch ein bißchen Salz draufstreuen », sagte er. Dann warf er einen desinteressierten Blick auf Mutschmann.
    «Was ist mit ihm?» fragte ich. Es war eine dumme Frage und diente lediglich dazu, die Neugier des Arztes zu wecken. Seine Augen verengten sich, als er mich anblickte.
    «Ich habe ihm geraten, Alkohol und stark gewürzte Speisen zu meiden und viel zu schlafen», sagte er trocken.
    «Das kann ich mir vorstellen», sagte ich.
    «Ich bin kein gefühlloser Mensch, mein Freund, aber es gibt nichts, was ich tun könnte, um ihm zu helfen. Mit einer eiweißreichen Ernährung, Vitaminen, Glukose und Methinoin hätte er vielleicht eine Chance.»
    « Wie lange hat er noch? »
    «Kommt er von Zeit zu Zeit noch zu sich?» Ich nickte.
    Mendelssohn seufzte. «Schwer zu sagen. Aber wenn das Koma einmal eingesetzt hat, ist es eine Sache von etwa einem Tag. Ich habe noch nicht mal Morphium, das ich ihm geben könnte. In diesem Haus ist der klinische Tod das übliche Heilmittel, das den Patienten zugänglich ist.»
    «Ich werd's mir merken.»
    «Werden Sie nicht krank, mein Freund. Hier gibt es Typhus. Sobald Sie an sich Anzeichen von Fieber entdecken, trinken Sie zwei Löffel Ihres eigenen Urins. Das scheint zu wirken.»
    «Wenn ich einen sauberen Löffel auftreiben kann, werd ich's bestimmt tun. Danke für den Tip.»
    «Nun, ich habe noch einen zweiten, weil Sie gerade so guter Laune sind. Der einzige Grund, warum das Lagerkomitee sich hier versammelt, liegt darin, daß die Wachen nicht herkommen, es sei denn, es wäre absolut notwendig. Es mag zwar so scheinen, aber die SS ist nicht doof. Nur ein Verrückter würde länger hier bleiben, als er muß. Sobald Sie ohne allzu schlimme Schmerzen aufstehen können, machen Sie, daß Sie hier rauskommen, das ist mein Rat.»
    «Warum bleiben Sie? Wegen des hippokratischen Eides? » Mendelssohn zuckte die Achseln. «Nie davon gehört», sagte er.
    Ich schlief ein bißchen. Ich hatte eigentlich wach bleiben und Mutschmann beobachten wollen, für den Fall, daß er zu sich kam. Ich schätze, ich hoffte auf eine dieser rührenden Szenen, die man in Filmen sehen kann: ein sterbender Mann, der sich gedrängt fühlt, einem anderen, der sich über sein Sterbebett beugt, sein Herz auszuschütten.
    Als ich erwachte, war es dunkel, und neben den Geräuschen, die die anderen Insassen durch Husten und Schnarchen verursachten, hörte ich Mutschmann auf der unteren Pritsche würgen. Ich beugte mich hinunter und sah im Mondlicht, wie er sich auf einen Ellenbogen stützte und die Hände auf seinen Magen preßte.
    «Alles in Ordnung?» fragte ich. «Natürlich », schnaufte er. «Ich werd ewig leben, wie so 'ne verdammte GalapagosSchildkröte." Er stöhnte wieder vor Schmerzen und sagte durch die zusammengebissenen Zähne: «Es sind diese verdammten Magenkrämpfe."
    «Möchtest du Wasser? "
    «Wasser, ja. Meine Zunge is so trocken wie ... " Ihn überkam ein neuer Anfall von Übelkeit. Ich kletterte vorsichtig runter und holte Wasser mit einer Kelle aus einem Eimer in der Nähe der Pritsche. Mutschmann, dessen Zähne klapperten wie eine Morsetaste, trank das Wasser geräuschvoll. Als er fertig war, seufzte er und machte sich wieder lang.
    «Danke, mein Freund», sagte er.

    «Keine Ursache», erwiderte ich. «Du würdest dasselbe für mich tun.»
    Ich hörte, wie er lachte, obgleich es sich eher wie ein Röcheln anhörte. «Nein, würde ich nich, verdammt», rasselte er, «ich fürchte, ich hab mir was eingefangen, weiß bloß nich, was. Du weißt es auch nich, oder? »
    Ich dachte einen Augenblick nach, dann sagte ich's ihm. «Du hast Hepatitis.»
    Ein paar Minuten war er still, und ich schämte mich. Ich hätte ihm diese Qual ersparen sollen. «Danke, daß du ehrlich zu mir warst. Was is mit dir? »
    «Hindenburg-Almosen.
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