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Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin

Titel: Bernhard Gunther 01 - Feuer in Berlin
Autoren: Philip Kerr
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der Patienten an Ruhr und Typhus litt, war das ein Ort, den es unter allen Umständen zu vermeiden galt. Selbst die SS-Männer gingen nie dorthin. Ich dachte, wie leicht man sich dort anstecken und krank werden konnte. Dann würde ich Mutschmann nie finden.
    Der Appell dauerte selten länger als eine Stunde, doch am Morgen meiner Bestrafung dauerte er länger als drei Stunden.
    Sie schnallten mich auf die Wippe und zogen mir die Hosen runter. Ich versuchte zu scheißen, aber der Schmerz war so schlimm, daß ich mich nicht darauf konzentrieren konnte. Außerdem hatte ich nicht genug im Magen, um zu scheißen. Als ich mein Almosen empfangen hatte, banden sie mich los, und einen Augenblick stand ich vor der Wippe, ehe ich ohnmächtig wurde.
    Lange Zeit starrte ich auf die männliche Hand, die über den Rand der Pritsche über mir hing. Sie bewegte sich nie, nicht einmal die Finger zuckten, und ich fragte mich, ob der Mann wohl tot war. Da ich den unerklärlichen Drang verspürte, aufzustehen und einen Blick auf den Mann zu werfen, drehte ich mich auf den Bauch und schrie vor Schmerz. Das lockte einen Mann an meine Pritsche.
    «Herrgott», keuchte ich und fühlte, wie mir der Schweiß auf die Stirn trat. « Es tut jetzt mehr weh als vorhin.»
    « Das ist die Medizin, leider.» Der Mann war um die Vierzig, hatte Zähne wie ein Kaninchen und Haare, die er sich vermutlich aus einer alten Matratze gezupft hatte. Er war schrecklich ausgemergelt, und sein Körper sah aus, als gehöre er von Rechts wegen in ein Gefäß mit Formalin. Ein gelber Stern war auf seine Sträflingsjacke genäht.
    « Medizin?» fragte ich ungläubig.
    «Ja», sagte der Jude schleppend. «Natriumchlorid.» Und dann, etwas barscher: «Kochsalz, wenn Ihnen das mehr sagt, mein Freund. Ich habe Ihre Striemen damit bestreut.» «Gütiger Gott», sagte ich. «Ich bin doch kein verdammtes Omelett.»
    «Das mag schon sein », erwiderte er, «aber ich bin ein verdammter Arzt. Es brennt wie ein Kondom voller Brennessein, ich weiß, aber das ist ungefähr das einzige, das ich verordnen kann, um zu verhindern, daß die Striemen sich entzünden.» Seine Stimme war klangvoll und wohltönend wie die eines Komikers.
    «Sie haben Glück. Sie kann ich versorgen. Ich wünschte, ich könnte das von den übrigen armen Schweinen hier sagen. Unglücklicherweise kann man mit einer Apotheke, die aus einer Feldküche geklaut ist, nicht mehr tun.»
    Ich blickte hinauf zur Pritsche über mir und auf das Handgelenk, das über den Rand hing. Noch niemals habe ich mit solcher Freude auf eine menschliche Mißbildung geblickt. Es war ein rechtes Handgelenk mit einem Überbein. Der Arzt, der auf meiner Pritsche stand, um den Mann zu untersuchen, entzog mir den Anblick der Hand. Dann kletterte er wieder herunter und warf einen Blick auf meinen nackten Hintern.
    «Sie schaffen es », sagte er.
    Ich machte mit dem Kopf eine Bewegung nach oben.
    «Was fehlt ihm? »
    «Warum, hat er Ihnen Ärger gemacht? » «Nein, ich wollt's bloß wissen.»
    «Sagen Sie, haben Sie schon mal Gelbsucht gehabt? » «Ja.»

    « Gut », sagte er. « Keine Sorge, Sie kriegen's nicht. Sie dürfen ihn bloß nicht küssen oder versuchen, ihn zu ficken. Trotzdem, ich werde versuchen, daß er eine andere Pritsche bekommt, für den Fall, daß er auf Sie runterpißt. Die Übertragung erfolgt durch Ausscheidungen.»
    « Übertragung?» fragte ich. «Von was?»
    « Hepatitis. Ich werde dafür sorgen, daß Sie oben liegen und er auf der unteren Pritsche. Sie können ihm ein bißchen Wasser geben, wenn er Durst bekommt.»
    « Klar», sagte ich. «Wie heißt er? »
    Der Arzt seufzte müde. « Ich habe wirklich nicht die leiseste Ahnung.»
    Später, nachdem die Sanitäter mich unter beträchtlichen Qualen in die obere Pritsche und deren früheren Insassen auf die untere verlegt hatten, warf ich über den Rand meines Lagers einen Blick nach unten auf jenen Mann, der meine einzige Chance darstellte, aus Dachau wieder rauszukommen. Er bot keinen ermutigenden Anblick. Nach meiner Erinnerung an das Foto in Heydrichs Büro wäre es unmöglich gewesen, Mutschmann zu identifizieren, so gelb war seine Haut, so abgezehrt sein Körper, wäre das Überbein nicht gewesen. Er lag zitternd unter seiner Decke, hatte Fieberphantasien und stöhnte hin und wieder vor Schmerz, wenn Krämpfe ihn folterten. Ich betrachtete ihn eine Weile, und zu meiner Erleichterung kam er wieder zu Bewußtsein, doch lediglich so lange, um den vergeblichen
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